Vergnügt, sensibel und vor allem sehr offenherzig. Im Gespräch mit dem Bärnerbär gibt Rapperin Steff La Cheffe einen intimen Einblick in ihr aktuelles Seelenleben.
Du wolltest dich mit uns im Rosengarten treffen. Hast du eine besondere Beziehung zu diesem Ort?
Ich wohne in der Nähe. Als Teenager kam ich häufig mit einer Freundin nach der Schule hier vorbei, um gemeinsam den Sonnenuntergang zu schauen. Und wenn meine Grossmutter aus Burgdorf nach Bern kam, kamen wir oft hierher. Ich habe ein Foto, auf dem wir zusammen vor dem Restaurant des Rosengartens posieren. Es ist die romantischste Sicht über Bern. Wenn ich Leute zu Besuch hätte, würde ich sie sicher hierhin bringen.
Du bist im Breitenrain-Quartier aufgewachsen. Rapperinnen und Rapper haben ja immer so eine spezielle Beziehung zu ihrem Quartier, der «Hood». Ist das bei dir auch so?
Klar, das habe ich früher mega zelebriert und auch so übernommen aus der Tradition des Rap. Ich habe ja auch den Song «Meitschi vom Breitsch» gemacht. Das war ein wichtiges Thema für mich. Aber das ist es heute nicht mehr. Ich bin mittlerweile ein paar Mal umgezogen. Ich bin generell nicht mehr so «street», wie man so sagt.
Deine Musik hat sich mit deiner Persönlichkeit entwickelt. Im kürzlich erschienenen Song «Gschleipf» singst du, dass du eine Lady seist, kein Meitschi. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das ist eine grosse Frage, die vielleicht eine grosse Antwort erfordert. (lacht). Wo soll ich anfangen? Es geht um das Erwachsenwerden, klar.
Man hört oft, die jüngeren Generationen wollten gar nicht mehr erwachsen werden …
Das kenne ich. Das wollte ich auch lange nicht. Aber irgendwann ist es kein Müssen mehr, sondern ein Wollen. Das habe ich an mir gut beobachten können.
Was ist denn das Positive an dieser neuen Reife?
Gelassenheit und Selbstermächtigung. Damit meine ich, dass man nicht mehr seine Eltern oder seine Kindheit dafür verantwortlich macht, wo man steht. Man nimmt die Dinge selbst in die Hand.
Wo stehst du denn gerade?
Gute Frage (zögert). Ich befinde mich so ein bisschen in einem Schwebezustand. Ich fühle, dass sich etwas zusammenbraut oder anbahnt, menschlich wie künstlerisch. Definieren kann ich es noch nicht so genau. Ich habe ein paar Coachings hinter mir, die mir geholfen haben. Ich hatte zuvor ein ziemliches Chaos im Kopf.
Wie autobiografisch sind deine Songs? Zum Beispiel «Gschleipf»?
«Gschleipf» ist autobiografisch inspiriert, aber man sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Niemand hat zu mir gesagt: Ich will eine Affäre mit dir, also ein «Gschleipf». Es geht mehr darum, dass ich gemerkt habe, dass ich keine Lust mehr auf halbe Sachen habe. Ich habe solche Geschichten gehabt und finde das auch in Ordnung. Ich möchte nicht, dass mein Song moralisierend daherkommt. Ich habe mich einfach verändert. Es ist jetzt aber schon wieder eine Weile her, dass ich den Song geschrieben habe. Bis ein Lied geboren wird, kann es dauern. Meine Musik hinkt meiner Entwicklung immer ein wenig hinterher.
Hast du denn jetzt etwas Ganzes gefunden? Bist du in einer Beziehung?
Ich war ein Jahr lang in einer festen Beziehung, die aber leider in die Brüche gegangen ist. Anders gesagt: Wir haben das Experiment abgebrochen, weil es nicht ganz gepasst hat. Im Moment bin ich ein bisschen desillusioniert, was die romantische Liebe angeht.
Ist Liebeskummer gut für die Kunst?
Immerhin sind zwei meiner Alben aus Liebeskummer entstanden. Ich hinterfrage aber zunehmend den Mythos, dass man für die Kunst leiden muss. Ich habe ein Buch gelesen, das «Die Klarheit» heisst. Die US-amerikanische Autorin (Leslie Jamison, Anm. d. Red.) beschäftigt sich darin gnadenlos mit ihrem eigenen Alkoholismus. Sie dekonstruiert das Klischee, dass Sucht und Kunst zusammengehören und hinterfragt, warum sie immer von alkoholsüchtigen Schriftstellern inspiriert war und diese glorifiziert hat. Ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass es Leiden nicht braucht, um kreativ zu sein.
Destruktiv und suchtgefährdet – bist du das denn auch?
Das kommt schon vor. Ich habe es in meinem Song «Detox» thematisiert. Alkohol ist für mich kein grosses Thema, das Rauchen allerdings schon, und früher das Kiffen.
Hat das Kiffen dich zu Songs inspiriert?
Das assoziative Denken, das Kiffen bewirkt, kann hilfreich sein. Aber ich habe auch diesen Mythos dekonstruiert. Früher gehörten Rap, Ausgang und Kiffen irgendwie zusammen. Das war für mich wie eine Gegenwelt zur Schule, zur Arbeit, zum Alltag. Doch mittlerweile ist die Musik mein Beruf. Ich brauche keine Gegenwelt mehr.
Geniesst du es, berühmt zu sein? Angesprochen zu werden?
Das kommt darauf, wie meine Laune ist und wie die Leute auf mich zukommen, ob sie respektvoll sind oder nicht.
Wie gut war deine Laune während der Corona-Krise?
Sie war ok. Ich wohnte während des Lockdowns auf dem Land. Ich bin noch vor Corona mit einer Freundin und ihrem Sohn nach Mittelhäusern gezogen. Das war auch so ein Experiment, dass ich im Guten beendet habe. Seit diesem Mai bin ich wieder in der Stadt.
Ist das Leben für dich ein Experiment?
Absolut. Man kann so vieles ausprobieren. Darin bin ich gut. Für mich liegt die Herausforderung eher darin, etwas durchzuziehen. Auf Neues lasse ich mich immer gerne ein.
Wie hat sich die Krise auf deine Kreativität ausgewirkt? War es hart für dich, isoliert zu sein?
Ich war schon vorher ein wenig im Eremiten-Modus und habe mich mit Introspektion und Selbstgenügsamkeit auseinandergesetzt. Corona hat mich deshalb nicht wirklich aus der Bahn geworden. Ich hatte zum Glück nicht viele Konzerte geplant. Das Schöne fand ich, dass für einmal das Hamsterrad stillstand. Du konntest ohne schlechtes Gewissen einen Pyjama-Tag machen und wusstest – hey, die anderen machen ebenfalls nichts. Allerdings sind auch die Songs «Skizzen», «Gschleipf» und «Detox» in dieser Zeit entstanden.
Hast du «Detox» – also eine Entgiftung – wirklich durchgezogen?
Ja, mit meinem damaligen Freund. Wir haben auf Zigaretten und Alkohol verzichtet und gefastet. Der Verzicht auf Zigaretten war am schwierigsten. Ich bin dann als Erste eingeknickt.
Standest du hinter den Massnahmen des Bundesrates?
Grösstenteils schon. Aber manches war inkonsequent und unfair. Die Mühle Hunziken war kreativ genug und hat sich kurzerhand in ein Restaurant verwandelt. So konnten wir Künstler weiterhin auftreten.
Hast du Verschwörungstheoretiker in deinem Umfeld?
Ich kenne Leute, die recht paranoid geworden sind. Ich verstehe sie auch. Es war krass, was passiert ist. Ich persönlich mache mir Sorgen, dass es zunehmend eine Spaltung der Gesellschaft gibt.
Mittlerweile sind Auftritte wieder möglich. Du bekommst im Herbst im Kulturlokal La Cappella eine Carte Blanche. Wie gestaltest du diesen Abend?
Bei Carte Blanche werde ich Gastgeberin sein und eine Wohnzimmer-Situation nachstellen. Am liebsten hätte ich gekocht. Aber das ist aus Gründen des Brandschutzes nicht möglich. Ich habe mit Frau Doktor Schindmäder einen lustigen Sidekick. Sie ist eine sehr schlagfertige Frau. Ich schaue für den Konsens, während sie die kritischen Fragen stellt.
Wer sind deine Gäste und worüber wirst du mit ihnen sprechen?
Meine Gäste sind Stefanie Heinzmann, Endo Anaconda, Milena Patagônia und Droujelub Yanakiew. Ich möchte mit ihnen – wie heisst es nur schon wieder in meinem Song «Ha ke Ahnig»? – über das Lesen, Kochen, Löffel verbiegen, Verschwörungstheorien, über Leben und Tod – diskutieren.
Helen Lagger