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Was willst du wem erzählen? Das ist hier die Frage!

Johannes Mager ist Dozent an der Hochschule der Künste. In seinem Schauspielunterricht lässt er die Studierenden mitgestalten und setzt auf eine «Methode ohne Methode».

Nachtwächter, Autoschlosser, Musiker – Johannes Mager war so einiges, bevor er Dozent für das Fach «Expanded Theater» an der Hochschule der Künste in Bern wurde. Mager ist in der DDR aufgewachsen, ein Studium erschien ihm als junger Typ eher sinnlos. «Es fehlte mir an Motivation, in diesem Land Karriere zu machen.»
Die Lehre zum Autoschlosser schloss er zwar ab, doch die Arbeit selbst langweilte ihn rasch. «Es gab nicht so viele Autos in der DDR und alle waren vom gleichen Typus.» Seine Leidenschaft galt dem Theater und der Musik. «Ich war in einer Laiengruppe und spielte in einer Band.» Ein Stück über den Autor Georg Büchner, kurz vor der Wende, alarmierte die Stasi. «Wir waren nicht explizit politisch, hatten aber punkto Aktualität unfreiwillig den Nagel auf den Kopf getroffen.»

Künstler im Rausch
Doch Mager will sich nicht zu lange mit dem Thema DDR aufhalten. Seine Theaterlaufbahn nahm nach der Wende, in Leipzig, wo er an der Hochschule für Musik und Theater «Felix Mendelssohn Bartholdy» studiert hat, Fahrt auf. Er spielte unter anderem den Maurice im Stück «Rausch» von August Strindberg (1849–1912). Maurice ist ein erfolgreicher Dramatiker, der nach einer umjubelten Uraufführung auf der Premierenfeier komplett die Bodenhaftung verliert. «Es hat Spass gemacht, eine so radikale Figur zu spielen.»
Als Schauspieler stand Mager unter anderem in Chemnitz oder am Staatstheater in Kassel auf der Bühne. Ab 2000 betätigte er sich als Regisseur, etwa am Theater in Jena, und entdeckte sein pädagogisches Talent als Studioleiter in Chemnitz. «Ich stellte fest, dass die Arbeit mit jungen Menschen mir sehr viel Spass macht.» Mager bewarb sich «in den schönsten Städten der Welt» als Dozent und gelangte schliesslich nach Bern, wo er seit 2002 an der Hochschule der Künste Schauspiel unterrichtet.

Figuren und ihre Geheimnisse
Als Ostdeutscher hat Mager viel Technik im Köcher. Er wurde nach der sogenannten Stanislawski-Methode unterrichtet, wobei seine Schauspiel-Professoren – alles Männer, die teilweise ihr Studium in der Sowjetunion absolviert hatten – eine klare Vorstellung hatten, wie man diese Technik, zu der Mager bis heute eine Hassliebe verbindet, anwendet. Während eines New-York-Aufenthalts konnte er am Lee Strasberg Institute hospitieren und sich ins Method Acting vertiefen.
Mager selbst setzt als Dozent auf Methodenvielfalt. Von einer «Methode ohne Methode» spricht er. So müssen seine Studierenden nicht unbedingt ihre eigene Verrücktheit oder frühkindlichen Traumata für ihre Rollen nutzen, sondern sich vielmehr fragen, mit welchem unreflektierten Defizit sich die darzustellende Figur rumschlägt. «Charaktere mit einem Geheimnis sind immer spannend.»
Genutzt wird in Magers Unterricht auch das «Sense Memory», wobei nach Triggern gesucht wird, die in den Schauspielenden bestimmte Empfindungen auslösen und für die Rollengestaltung genutzt werden können.
Die Frage «Was willst du wem erzählen?» sei für Schauspieler:innen zentral, so Mager. «Bei der Form hingegen haben die Studierenden ein absolutes Mitspracherecht und überraschen mich immer wieder mit unkonventionellen Lösungen.»
Wenn Schauspiel gelingt, entsteht laut Mager aus der Dringlichkeit eine Leichtigkeit, wobei der oder die Spielende vergisst, dass sie auf einer Bühne steht. «Ich ermutige die Studierenden, keine Angst zu haben, auch Wagnisse einzugehen.»
Die «alte weisse Hete» lässt sich gerne sensibilisieren
Mager rettet beim Gespräch mit dem Bärnerbär mit stoischer Gelassenheit dreimal nacheinander eine Wespe, die sich unbedingt in seinem Glas ertränken will. Ort des Treffens ist die gerade unter Beschuss stehende Brasserie Lorraine – die Beiz brach ein Konzert ab, weil es angeblich Besucher:innen gab, die sich wegen «kultureller Aneignung» unwohl fühlten, da eine weisse Band, in der einige Rastafrisuren trugen, Reggae spielte.
Auch im Schauspiel wird gerade heftig debattiert, wer denn nun noch wen spielen darf. «Ich bewundere die Selbstbestimmtheit und Diskursfreudigkeit der Jungen», erklärt Mager. «Aber ich sage ihnen auch: Wenn du auf die Bühne trittst, gibt es eine Schwelle. Egal welche Figur du spielst, du darfst sie verteidigen.»
Als «alte weisse Hete» lasse er sich gerne von seinen Studierenden für die Themen Sexismus, Rassismus und Postkolonialismus sensibilisieren. «Cool, dass sie so sportlich unterwegs sind.»

Helen Lagger

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