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Wie der Sänger während der Pandemie die Medien rügt

Der Berner Chansonnier Boris Bittel (48) sang während des Lockdowns in Gärten und vor einem Altersheim. Den Massnahmen steht er kritisch gegenüber, als CoronaSkeptiker würde er sich indes nicht bezeichnen.

Unser Treffen fndet am Loebegge statt. Where else? Schliesslich hat der Berner Chansonnier gerade jenem legendären Treffpunkt der Stadt ein Lied gewidmet. Das war 2019, als Bittel mit seinem Programm «Gschichte us em Läbe» erstmals auf Tournee ging. «2019 war ein super Jahr», sagt der Musiker, der seinen Lebensunterhalt als Immobilienverwalter bestreitet. «Ich war viel unterwegs, hatte viele schöne Auftritte. Dann kam 2020.» Sein letzter Auftritt war im Herbst 2020 auf einem Campingplatz. «Streamings sind für mich nicht infrage gekommen. Der Kontakt zu den Leuten ist für mich das A und O.» Während der ersten Welle spielte er gratis in Gärten. Seine Frau, eine Katechetin, hatte die Idee, Zettel in der Nachbarschaft zu verteilen. «Das sprach sich rum.»

Hinterfragen statt Glauben

Doch das schönste Erlebnis hatte Bittel, als er von einem Altersheim engagiert wurde. «Die alten Menschen standen auf dem Balkon, um mir zuzuhören. Eine über 90-jährige Frau bedankte sich überschwänglich.» Dass Bittel die Massnahmen für übertrieben hält, daraus macht er keinen Hehl. In seinem Lied «D Zytig» betreibt er Medienschelte. Angst und Panik werde verbreitet und immer nur vom Negativen berichtet, so der Tenor. Dabei erscheint Bittel selbst nicht selten in den Medien. «Ich hinterfrage nicht, was du als Journalistin schreibst, sondern was du schreiben musst», sagt er auf diesen Widerspruch angesprochen. Die von oben gesteuerte Presse? Ist Bittel ein «Schwurbler» und «Verschwörungstheoretiker»? Bittel winkt ab. «Ich will niemanden verurteilen. Ich hinterfrage einfach diese ständigen Negativschlagzeilen.» Es ist ihm wichtig, nicht als Coronaskeptiker oder gar Leugner der Krankheit dargestellt zu werden. «Das bin ich überhaupt nicht. Ich will mich in meinen Liedern nicht politisch positionieren.» Trotzdem sorgte sein Lied – ein zweites ruft zu mehr Mut, für Gerechtigkeit einzustehen und das Herz auf dem richtigen Fleck zu haben, auf – für Aufmerksamkeit. «Mit Kritik muss man rechnen, wenn man sich äussert», sagt Bittel. «In meinem Freundeskreis hat es Diskussionen gegeben, wobei die meisten Feedbacks positiver Natur waren.»

Für mehr Miteinander

Was, wenn man Applaus von rechtskonservativen Verschwörern bekommt? Muss man sich nicht immer sehr genau überlegen, mit wem man im selben Boot sitzt? «Das sehe ich eben ganz anders. Ich bin ich und mache mir meine eigenen Gedanken. Ich sage meine Meinung und möchte deshalb nicht in eine Schublade gesteckt werden», erklärt Bittel. Die Videos der Schauspielerinnen und Schauspieler, die in Deutschland unter dem Hashtag #allesdichtmachen vertrieben wurden und gerade für massiven Wirbel sorgen, habe er nicht angeschaut, die Aufregung darüber aber schon verfolgt. «Ich bin froh, in der Schweiz zu leben.» Die Ausgangssperre im Nachbarland fndet Bittel unsäglich. «Mein geliebtes Hamburg gibt es nicht mehr so, wie ich es kannte.» Darauf angesprochen, dass die Videos in Deutschland als Hohn gegenüber den direkt von Corona Betroffenen, jenen die selbst erkrankt sind oder Angehörige verloren haben, empfunden wurden, meint Bittel, dass er es grundsätzlich nicht gut fnde, sich über andere lustig zu machen. «Ich bin generell für das Gute, für das Miteinander.» Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft bereitet ihm Sorgen. Eigentlich hätte Bittel Lust, jetzt lustige Lieder zu schreiben, wie er erklärt. «Aber ich habe Mühe, das in dieser schwierigen Zeit zu tun.» Traurig ist auch das Lied, das Bittel zusammen mit seiner Frau Corinne für den Dokumentarflm «Verdinger» (2020) geschrieben und komponiert hat. Erzählt wird die Geschichte eines ehemaligen Verdingbuben. Mutterseelenallein, von niemandem in den Arm genommen, wird die Situation des Bubes in Bittels Lied beschrieben. Fröhlicher dürfte es werden, wenn man Bittel im Rahmen der Bärnebär-Aktion «gewinnt» und er ein persönliches Ständchen offeriert.

Helen Lagger

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