Johannes Lortz ist Künstler, Performer, Flaneur und Aktivist. Anlässlich des Krieges in der Ukraine hat er ein Statement bei der Reithalle hinterlassen, das gleich mehrfach Opfer von Vandalismus wurde.
Johannes Lortz erlebt gerade einen Bildersturm. Zumindest dürfte es sich für ihn so anfühlen. Der Künstler und Aktivist hat neben dem Skatepark in der Reithalle Flagge und Gesicht für die Ukraine gezeigt. Und zwar im wörtlichen Sinne. In seinem für ihn typischen Stil hat er gekleistert – mehrere Papierstücke zu einer gelbblauen Wand hochgezogen und darauf ein Mädchengesicht angebracht. Vor unserem Treffen hat Lortz sein Kunstwerk restaurieren müssen. Das Gesicht war mit einem Text überschrieben worden, einem Statement gegen den Krieg, wohlgemerkt. Doch Lortz vermutete dahinter eine «parteiförmige Clique» aus der linksextremen Szene, wie er es auf Facebook kundtat. Einer seiner Follower kommentierte daraufhin: «Du kennst doch die Sprayer-Szene, jeder übermalt die Bilder der anderen.» Tenor: Lortz habe die Tat überinterpretiert. Tatsächlich kommt das Bild aber auch nach seiner Restauration nicht zur Ruhe. Das Mädchengesicht wurde am 6. März gänzlich entfernt, so dass eine leere Stelle mitten im Bild klaffte. Lortz vermutete auf Facebook Putin-Extremisten aus dem Umfeld der Reithalle dahinter und sprach von einer barbarischen Tat. Eigentlich wollte er mit Leuten aus der ukrainischen Diaspora die Flagge beschriften. Bei einer erneuten Restauration kam er mit drei jungen Antifas ins Gespräch. Diese liessen ihn wissen, dass manche meinten, dass Mädchen stelle einen ukrainischen Faschisten dar und deshalb hätten sie das Bild zerstört. «Sie gaben zu, dass es in der Antifa Putin-Versteher gibt», so Lortz zu dieser absurden Argumentation. Er selbst steht der Reitschule nahe, war an zahlreichen Demonstrationen, stand, als er noch in der Gassenküche arbeitete, in engem Austausch mit der Antifa. Doch in letzter Zeit fällt Lortz in den sozialen Medien damit auf, Kritik zu üben an jenen, die man in Bern als den Schwarzen Block bezeichnet. Lortz prangert den in dieser Szene zum Teil grassierenden Antisemitismus, die Gewaltverherrlichung oder Leute, die sich während der Pandemie als Schwurbler zu erkennen gegeben haben, offen an.
Antisemitismus in der Familie
«Es gab verschiedene Brüche, die mich auf Distanz gehen liessen», sagt der Künstler. «Ich stand unter Schock, als linksradikale Gruppen in Berlin jüdische Symbole, nicht weit vom Holocaust-Denkmal entfernt, verbrannt haben.» Lortz selbst ist ein gebranntes Kind. Antisemitismus von rechts hat er in seiner eigenen, aus Deutschland stammenden Familie, erlebt. «Mit einem Onkel habe ich den Kontakt abgebrochen, weil er wie ein Nazi gesprochen hat», erklärt Lortz, der in einem freikirchlichen Umfeld aufgewachsen ist. Er hat sechs Halbgeschwister und verbrachte seine frühe Kindheit in Kanada, wo sein Vater eine Farm betreibt. Dass er sich für Drogensüchtige starkmacht, hat ebenfalls einen familiären Hintergrund. «Ich hatte eine Tante, die Punk war und ein Drogenproblem hatte.» Lortz erlebte, wie die eigene Familie sie ausschloss. Seit geraumer Zeit engagiert er sich im Projekt Albatros, das Drogenkonsumierenden ein betreutes Wohnen anbietet. Auch seine Kunstprojekte haben oft eine soziale Dimension und bringen Menschen unterschiedlichsten Alters und Herkunft zusammen. Formal inspirieren ihn die Konstruktivisten, wie etwa Kasimir Malewitsch (1878-1935), der mit seinem ikonischen Schwarzen Quadrat in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Selbst an die Macht der Bilder glaubend, hat Lortz ikonische Gesichter in mit Klebestreifen entwickelte Raster gepresst. Statt den Pinsel nutzt er dazu ein Feuerzeug, er malt nämlich mit Russ und lässt so verstorbene Persönlichkeiten – wie Phönix aus der Asche – wiederauferstehen: Lou Reed, Anais Nin, Rosa Luxemburg, Marguerite Duras oder Frankenstein gehören zu seinem eigens kreierten Pantheon.
Mit offenen Armen empfangen
Auch das Mädchen, das als Stellvertreterin für Ukrainerinnen und Ukrainer Gesicht zeigen soll, ist ursprünglich in der Russ-Technik gestaltet worden. Nun lächelt es wieder weise und leise von der Wand. Lortz selbst ist 2016 gemeinsam mit seiner Freundin, die Slavistik studiert hat, in die Ukraine gereist. «Wir wollten den Geburtsort des Lyrikers Paul Celan besuchen.» Das Paar vernetzte sich mit einem Lesezirkel, der sich Celan widmet und lernte engagierte Intellektuelle kennen. «Wir wurden überall mit offenen Armen empfangen», so Lortz, den der ausgebrochene Krieg und die damit verbundenen Reaktionen von Extremisten verschiedenster Couleur nicht nur betroffen, sondern fassungslos und wütend machen.
Helen Lagger