Regula Bühler ist ausgebildete Schauspielerin. Das Erzählen von Geschichten – für sie die kleinste Form von Theater – liegt ihr besonders. Als Sapperlotta philosophiert sie mit Kindern über Kunst und das Leben.
Haben Tiere Rechte? Für Vierjährige eine grosse Frage. Doch die Kulturvermittlerin und Geschichtenerzählerin Regula Bühler weiss, dass Kinder manchmal bessere Antworten als Erwachsene parat haben. Im Rahmen einer Kooperation der Dampfzentrale, des Schlachthaus Theaters und des Alpinen Museum der Schweiz philosophiert sie mit Kindern ab vier Jahren. Bei der Tierfrage stellte sie Playmobilfiguren zur Verfügung. Ein Kind ordnete diese nach Haustieren, Zootieren und Wildtieren, wobei es erstere für schützenswerter befand. Ein anderes Kind intervenierte und machte darauf aufmerksam, dass dies eine sehr menschliche Perspektive sei. «Kinder sind unglaublich bereichernd», sagt Bühler.
Wenn der Niesen niest
Die Frage, wie man Kinder abholt, treibt sie um. Der Einstieg gelingt meistens, wenn sie ihre Handpuppe, eine Schnecke namens Joli, aus ihrem Köfferchen holt. «Die Kinder vergessen, dass ich es bin, die Joli zum Leben erweckt und manchmal vergesse auch ich das ein wenig.» Die Kinder kennen sie als Sapperlotta. Eine Kunstfigur, die spontan entstand. Bühler hat an der renommierten Theaterschule LASSAAD in Brüssel studiert und schnell einmal gemerkt, dass sie nicht für die grosse Bühne bestimmt ist. «Geschichten erzählen ist die kleinste Form von Theater und das liegt mir.» Als Mutter zweier Buben erfand sie oft Geschichten für ihre Kinder. «Schade, dass diese nicht auch andere Kinder hören können», dachte sie irgendwann und meldete sich in der Bibliothek Länggasse, wo sie prompt ein Engagement bekam, um Bilderbücher vorzulesen. Bühler ist es wichtig, die Kinder ernst zu nehmen. «Ich bin keine Märchentante, die zwei Oktaven höher spricht, wenn sie sich an Kinder wendet.» Geschichten erzählt sie auch im Rahmen des Vermittlungsformats «Kunstspatz», bei dem Kinder ab drei Jahren im Kunstmuseum Bern Gemälde betrachten. Zuvor dürfen sie im Atelier mit Bühlers Sparring-Partnerin mit Farben und Formen experimentieren. Die Geschichten zu den Gemälden, die Bühler erzählt oder mit den Kindern gemeinsam entwickelt, kommen reichlich versponnen daher. Da muss auch mal der von Hodler gemalte Berg Niesen so laut niesen, dass es Eiger und Jungfrau hören. Erstaunt ist sie, wie präzise Kinder manchmal den Titel eines Bildes erraten. «Kinder ticken wohl ähnlich wie Künstler», ist sie überzeugt. «Sie denken viel bildhafter.»
Hühner auf dem Helvetiaplatz?
Als Freischaffende geht Bühler oft Kooperationen ein. So bildet sie als Geschichtenerzählerin Sapperlotta gemeinsam mit der Musikerin Rosa Mond ein Duo, das zwischen zwei Lockdowns im Schlachthaus Theater auftrat. Die musikalisch illustrierte Geschichte «Bye Bobby bye» handelt von einem Hahn, der zu laut ist für die Erwachsenen, worauf die Kinder Angst haben, er könnte geschlachtet werden. Es beginnt eine Rettungsaktion mit offenem Ende. Auch Projekte im öffentlichen Raum entsprechen Bühler. Gemeinsam mit der Theaterschaffenden und Radiojournalistin Magdalena Nadolska hat sie ein Podcast-Projekt für die Ausstellung «Shared Spaces in Change» im Kornhausforum entwickelt, bei dem 4- bis 12-Jährige ihre Meinung zu öffentlichen Orten wie etwa dem Eigerplatz kundtun konnten. Auf dem Helvetiaplatz schlug ein Mädchen vor, man könnte das Denkmal entfernen und stattdessen eine Hühnerfarm hinstellen, damit alle immer frische Eier holen könnten. Das dürfte eine Utopie bleiben. Die Ideen der Kinder sind auf Soundcloud hörbar und in Form von Illustrationen auf einem in der Länggasse-Bibliothek platzierten Kubus einsehbar. Das nächste Philosophieren findet im Generationenhaus statt. Auch hier geht es um eine grosse Frage: «Was schulden wir der nächsten Generation?» Bühler hat die Erfahrung gemacht, dass Grosseltern oft über die gleichen Dinge lachen können wie ihre Enkelinnen und Enkel. Sie selbst ist die vierte Schwester von fünf Kindern. Die Eltern waren Leiter eines Kinderheims, in dem Bühler aufgewachsen ist. Das hat sie geprägt. «Es war immer etwas los. Und ich wusste, dass ich privilegiert bin, in einer funktionalen Familie aufzuwachsen.»
Helen Lagger