Er spürt den Zahn der Zeit. Ein bisschen zumindest – das gibt er offen zu. Ein Gespräch mit Mundartpoet Büne Huber über das Alter, die Zukunft, die Angst vor dem Gurten – und Loredana.
Ihr neues Album enthält fast durchwegs melancholische, ruhige Songs. Widerspiegeln diese Ihr derzeitiges Lebensgefühl?
Eigentlich gar nicht, ich bewege mich ja in einem sehr leichten und luftigen Umfeld. Erst während der Produktion wurde mir bewusst, dass da Melancholie vorhanden ist. Was vielleicht einfach damit zu tun hat, dass wir langsam in den Teil des Waldes hineinlaufen, in dem geholzt wird.
Wir? Sie meinen sich und Ihr soziales Umfeld.
Ja, mein Freundeskreis und ich beschäftigen uns mit Dingen, die weit dramatischer sind als eine Grippe. Wir als Band sind damit konfrontiert, dass zwei Personen nicht mehr auf Tour mitkommen. Aus gesundheitlichen Gründen.
Oh, klingt fast schon dramatisch.
Urs Lanz, unser Tonmeister der ersten Stunde, hat gekündigt. Solche Geschichten hinterlassen Spuren. Das einfach zu ignorieren, ist unmöglich.
Klar fühlt man sich mit 57 nicht mehr wie mit 20. Aber …
(Unterbricht) Es ist doch so: Als ich als 25-Jähriger auf Tournee ging, habe ich mir überhaupt nichts überlegt. Jetzt bin ich in einem Alter, wo ich darauf achte, dass ich auf der Bühne zweieinhalb Stunden durchstehe. Sei das wegen eines Zipperleins am Rücken oder sonst was. Ich versuche den Gebrechen entgegenzuwirken, indem ich mich fit halte.
Sie achten auf die Ernährung?
Ja, sicher.
Nochmals: Ja, Sie sind 57. Aber eben erst 57.
Polo ging mit 70 von uns. Das wären in meinem Fall noch 13 Jahre. Ich will damit nur sagen: Wer im Rock ‘n’ Roll zuhause ist, für den trifft das männliche Durchschnittsalter von 83 Jahren wohl kaum zu. Und ich habe zwei kleine Kinder, ich kann mich nicht einfach mal abmelden. Ich besitze kein Interesse daran, sie in ein paar Jahren als Halbwaisen zurückzulassen. Sie sehen: Wenn wir über solche Dinge reden, fliesst automatisch Melancholie mit ins Gespräch. Ich merke, dass die Zeit begrenzt ist. Aber eigentlich bin ich ganz froh darüber.
Das müssen Sie erklären.
He, das macht einem bewusst, wo du bist, was du tust. Das ist das Geile am Leben, Roboter empfinden so etwas nicht. Aber klar: Im Pop-Business findet das niemand so richtig cool. Viele wollen ein Sixpack und sich Botox ins Gesicht spritzen lassen, wie zum Beispiel diese Sängerin, die derzeit gerade herumgereicht wird.
Sie meinen Loredana.
Schauen Sie sich diese Frau an…das sind Bilder (lacht). Man stelle sich vor, alle wären so abgedreht…
Schaden Leute wie sie oder Kollegah und Farid Bang dem Genre?
Nein, nein. Diese Bewegungen hat es meines Erachtens immer gegeben. Schaden und Nutzen halten sich in Grenzen. Ich möchte das sowieso nicht beurteilen, solche Figuren sind mir ziemlich schnuppe. Ausser es handelt sich um wirklich menschen verachtende Texte.
Alles easy also.
Im Leben meiner älteren Tochter (22, d. Red.) gab es Momente, wo ich ihr gesagt habe: «Darling, ich kann dir nicht verbieten, solche Musik zu konsumieren, aber ich persönlich kann diesen Seich nicht hören. Selbst wenn das jetzt irgendwie witzig gemeint war.»
Zurück zu Ihrem Befinden: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ganz konkrete.
Wieder einen Nummer-eins-Hit zu schreiben?
Wir haben ihn bereits, Sie wissen es nur noch nicht (lacht). «Für immer uf di», ein Überfliegersong, den man in den Büchern finden wird. Mein Gefühl sagt mir, dass es so kommt, und es hat mich noch nie getäuscht. Einzig «Gummiboum» hat mich überrascht, den hatte ich als kleinen «Bullshit» komponiert.
Sie sind überzeugt, dass «Für immer uf di» gut ankommt.
Mehr als überzeugt. Er stieg in den Charts auf Rang zwei ein, steht kurz vor Gold. Und das, obwohl wir nie eine Single-Band waren. So etwas haben wir nicht einmal mit der «W. Nuss vo Bümpliz» geschafft, dieses Lied kletterte bloss auf Platz 16.
Sie wollten von Ihren konkreten Plänen erzählen.
In drei Jahren kochen wir eine wunderschöne Suppe: meinen 60. Geburtstag sowie der 65. meines brüderlichen Freundes und Managers Christian Siegenthaler. Dazu 30-jähriges Bühnenjubiläum. Das kommt gut. Ob das Publikum daran Freude haben wird, weiss ich nicht. Unsere Familie hingegen sehr (lacht).
Die grosse Abschiedstournee?
Nein, nein, es geht um ein Album, um Songs. Wir können uns doch nicht schon pensionieren lassen. Wenn es uns mit 80 noch gibt, werden wir wohl weiterfahren, obwohl wir wahrscheinlich nicht mehr auf den Gurten eingeladen werden (lacht).
Sind Sie, seid ihr als Band nach all den Jahren noch nervös? Bei einem Heimspiel wie dieses Jahr am Gurtenfestival – und gerade dann, wenn eine neue Scheibe erscheint?
Doch, schon. Diesmal vielleicht sogar ein bisschen mehr. Denn die Platte ist seit dem 12. März fertig, veröffentlicht wird sie erst am 24. Mai, was damit zu tun hat, dass nur noch wenige Firmen Vinyl produzieren. Dieses Warten macht nervös, ja. Und der Gurten ist für mich sowieso die Hölle.
Weil man vor eigenem Publikum auftritt?
Wahrscheinlich. Und weil man mit diesem Anlass so verbunden ist. Ich war immer auf dem Gurten, auch wenn wir selbst nicht gespielt haben. Vor allem aber wohl einfach deshalb, weil, wenn du auf der Bühne schlecht gespielt hast, man dich im Beck erkennt (lacht).
Welchen Luxus gönnen Sie sich mit 57?
Ich lebe ein wirklich simples Leben. Ich bin Hausmann, habe Familie, bin Maler und Musiker. Das Beste, das mir passieren kann, ist Zeit. Nicht unter Druck zu geraten. Zum Glück befinde ich mich über weite Strecken des Jahres selten so im Schwitzkasten wie andere. Mein Luxus ist in dem Sinne meine Loftwohnung, die ich mir vor zehn Jahren gekauft habe. Sie inspiriert mich, macht mich glücklich und gibt mir die Möglichkeit, andere grosszügig einzuladen.
Schaut her, ich habe gekocht!
Ohne Stress koche ich für 18 bis 20 Leute. Das fägt wahnsinnig! Da kommen all die schwererziehbaren Freundinnen und Freunde an einen Tisch, man freut sich, miteinander zu reden und sich die Welt erklären zu können. Das empfinde ich als Luxus. Designermöbel besitze ich hingegen gar keine.
Was kochen Sie am liebsten?
Momentan ist mir sehr nach Fisch. Neuenburger Felchen. Am Mittwoch serviere ich ihn auf einem Gemüsebeet mit einer Safran-Chili-Sauce. Das kommt gut.
Diese Entspanntheit hat doch, um den Kreis zu schliessen, wiederum Einfluss auf die Lebensdauer eines Menschen.
Das kann ich mir gut vorstellen. Je weniger negativen Geschichten ich ausgesetzt bin, desto besser ist das für mein System. Was ja nicht heisst, dass man allem Druck ausweichen soll. Doch ich versuche wirklich, einigermassen entspannt und gelassen in der Welt zu stehen. Das gelingt mir mal besser und mal weniger, manchmal auch gar nicht. Mein höchstes Gut ist Glück.
Yves Schott