Medienprofessor warnt: SRG spart am falschen Ort!

Das Urteil fällt schon bald: In rund zwei Wochen dürfte der SRG-Verwaltungsrat entscheiden, ob das Radiostudio Bern künftig in Zürich steht. Für Medienprofessor Matthias Steinmann ein unverständlicher Weg: Der Mainstream werde so nur noch zunehmen, sagt er.

Matthias Steinmann, was passiert, wenn der SRG-Verwaltungsrat Mitte September entscheidet, das Radiostudio Bern aufzugeben?
Es gibt einen ökonomischen und einen publizistischen Aspekt. Ökonomisch gesehen stellt es kein Problem dar, Buchhaltung, IT etc. zu zentralisieren. Dagegen ist publizistisch gesehen jede Zentralisierung eine Verarmung. Werden wichtige Einrichtungen wie das Radiostudio Bern nach Zürich verlegt, verfestigen sich wahrscheinlich die linksliberalen Strukturen innerhalb der SRG noch mehr. Der inhaltliche Mainstream, den wir zum Beispiel bei der Tamedia-Gruppe in Bern beim «Bund» und der «Berner Zeitung» seit längerem beobachten, nimmt weiter zu. Sitzen alle in einer Newszentrale im gleichen Raum, entsteht eine unsichtbare Abstimmung zum mentalen Mainstream hin: Man könnte es auch «Kantinen-Effekt» nennen.

Es geht Ihnen also um publizistische Vielfalt.
Ja, andere Meinungen müssen ermöglicht werden. Früher las ich zum Beispiel die «WOZ», um Gegenteiliges zu erfahren; heute die «Weltwoche». Wenn es dieses Magazin nicht gäbe, müsste man es wohl erfinden. Nicht zwingend wegen der politischen Haltung, sondern wegen der Oppositionsfunktion.

Die Kritik am Mainstream, die Sie ansprechen, gibt es bei der SRG nicht erst seit gestern. Daran würde eine Verlegung nach Zürich nichts ändern.
Das ist zurzeit wohl richtig. Aber in Zukunft würde es noch schwieriger, aus diesem auszubrechen. Für viele SRG-Entscheidungsträger ist das jetzige Programm tabu, wenn es um Einsparungen geht. Das ist nicht richtig! Es gibt ein Programmeinsparungspotenzial, den Jugendsender Virus etwa könnte man problemlos streichen, junge Menschen hören heute Internetradios oder Youtube. Und wieso braucht das Tessin die gleiche Anzahl an Radioprogrammen wie die Deutschschweiz? Rete 2 sendet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und das sind nur zwei Beispiele.

Werden Inhalte gestrichen, muss die SRG Leute entlassen. Das sagt auch «Tagesschau»-Chef Urs Leuthard in einem Interview.
Na und? Die SRG ist von den Gebührenzahlern nicht als geschützte Werkstatt finanziert und das passiert schliesslich überall. Dafür werden bei den Privaten neue Stellen entstehen, daran sollte sich gerade Medienministerin Doris Leuthard erinnern. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen nicht noch mehr gestärkt werden. Was die SRG momentan in Bern versucht, ist, durch Immobilienverkäufe einen Spareffekt zu erzielen. Ob das nachhaltig ist, bezweifle ich. Die Führungsstrukturen innerhalb des Unternehmens sind jedoch zurzeit wohl zu schwach, um dort einzusparen, wo es praktisch keine Publikumsauswirkungen hat, intern dafür aber wehtut.

Für jemanden, der sehr lange bei der SRG tätig war, stehen Sie Ihrem ehemaligen Arbeitgeber sehr kritisch gegenüber.
Ja, ich bin der gegenwärtigen SRG gegenüber eher kritisch eingestellt und habe auch die No-Billag-Initiative befürwortet, damit sie knapper abgelehnt würde und somit Strukturveränderungen bewirkt. Leider geschah das nicht. Doch ich bin sicher: In fünf Jahren wird eine neue Initiative kommen, die eine Senkung der Gebühren fordert und angenommen wird. Das führt dann zwangsweise zu einer Restrukturierung der SRG.

Vergangenen Donnerstag fand auf dem Bundesplatz die Aktion «Pro Medienvielfalt» statt, bei der sich Politiker verschiedenster Couleur für den Standort Bern eingesetzt haben. Sie waren nicht dabei. Wieso?
Ich ging wandern. Ausserdem präsidiere ich die Steinmann-Stiftung Schloss Wyl, die gegenwärtig Ted Scapas Lebenswerk ausstellt, dazu schreibe ich Pilgerkrimis (z.B. «Pilgerfreunde», «Die Gräfin von Montorzier ‹Erotischer Krimi›»). Im September laufe ich zusammen mit meiner Frau auf dem Jakobsweg nach Pamplona. So mache ich nichts Dümmeres (lacht).

Yves Schott

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