
Mark Werren ist seit 2011 Berns Stadtplaner. Im Gespräch mit dem Bärnerbär blickt er in die Zukunft und erklärt, weshalb ihm das stetige Wachstum und der nicht nachlassende Bedarf an neuen Wohnungen und Arbeitsplätzen kein Bauchweh bereitet.
Bärnerbär: Mark Werren, Sie waren während 25 Jahren in Bern, Zürich, Basel, Paris, New York, Deutschland und Luxemburg als Architekt tätig. Weshalb wagten Sie den Seitenwechsel zu den Berner Behörden?
Ich war als Architekt und Planer kaum noch mit einzelnen Gebäuden oder Überbauungen beschäftigt, sondern mit Masterplanungen für Quartiere, Areale oder Siedlungsräume. Ich hatte mit Stadtentwicklern und Planungsbehörden zu tun und merkte, wie vielfältig deren Arbeit ist. Und dann ritt mich der Teufel und ich bewarb mich für die Stadtplanerstelle (lacht).
Welche Denkweisen aus Ihrer Architekturkarriere helfen Ihnen noch heute?
Als junger Architekt erfindet man das Zuhause für Menschen, die in einer Wohnung leben und entwirft stimmungsvolle Häuser und Gärten. Als Stadtplaner stellt man sich dieselben Fragen: Wie wollen die Leute leben? Wo halten sie sich wann auf? Wie bewegen und begegnen sie sich? Wo ist ihr Zentrum? Wo ist es laut? Wo ist es leise? Welche Nachbarschaft wünschen sie sich? Eine Stadt ist so gesehen die Wohnung ihrer gesamten Bevölkerung. Das Denken bleibt gleich – aber der Massstab wechselt.
Welche Projekte beschäftig(t)en Sie am meisten?
Ab 2011 kümmerte ich mich zuerst um Projekte, die unter meinen Vorgängern entwickelt wurden. Das sind die letzten Bauten in Brünnen und Projekte an der Mutachstrasse, auf dem Warmbächli-Areal und in Schönberg-Ost. Aber auch am Europaplatz und in diversen Quartieren. Stark beschäftigen mich heute natürlich die Gebietsentwicklungen Viererfeld und Gaswerkareal oder die Entwicklungsschwerpunkte Wankdorf, Stadtraum Bahnhof und Ausserholligen. Neu lanciert und umgesetzt haben mein Team und ich das Stadtentwicklungskonzept STEK 2016. Dort geht es um die Vision unserer Stadt: Wie sieht Bern 2030 aus? Wie 2050? Das ist eine klassische Aufgabe des Stadtplanungsamtes. Wir müssen die Zukunft vorausdenken und wissen, wie und wo wir der stetig wachsenden Bevölkerung Berns genügend Wohnungen und Arbeitsplätze sowie gute Verkehrsverbindungen und öffentliche Räume zur Verfügung stellen können.
Wird diese Aufgabe stetig kniffliger? In und um Bern sind die Raumressourcen knapp…
… das stimmt. Die Stadt ist in den letzten zwanzig Jahren, mit wenigen kleinen Ausnahmen, konsequent nach innen verdichtet worden. Baulücken gibt es fast keine mehr. Wir benötigen pro Jahr mindestens 500 neue Wohnungen. Kommt hinzu, dass bis 2030 ungefähr 15 000 Menschen mehr in Bern arbeiten werden als jetzt.
Das geht nicht ohne neuen Nutzraum, oder?
Ja. Wir kommen nicht darum herum, neue Nutzflächen bereitzu stellen. Bei bestehenden Wohn- und Gewerbegebieten müssen wir deren Ausnutzung massvoll erhöhen, Bauten erneuern und Areale verdichten. Oder wir wandeln langfristig, dort wo es geht, Industriegebiete in hochwertige gemischte Wohn- und Arbeitsquartiere um. Wir bleiben dabei bescheiden und können nicht wie französische Präsidenten riesige Prestigeprojekte aus dem Boden stampfen. Bauchweh habe ich für die Zukunft von Bern gerade deswegen nicht: Unsere Basisdemokratie funktioniert gut. Unser Mechanismus ist zwar langsam, unspektakulär und kostet auch. Er ist aber trotzdem der bessere, denn er ist nachhaltig, bezieht die Bevölkerung mit ein und sichert so unseren hochwertigen Lebensraum.
Wo kann sich die Stadt Bern noch verändern?
Überall! In vielen Quartieren natürlich nur noch im kleinen Rahmen. Dort geht es um die sorgfältige Optimierung der Lebensräume. Im grösseren Rahmen erfolgen Veränderungen eher in den Aussenquartieren und gegen den Stadtrand, kurzfristig auf dem Insel-Areal oder im Wankdorf. Bald werden dort erste Hochhäuser gebaut. Später auch in Ausserholligen. Diese Gebiete könnten sich mit ihrer neuen Skyline bis 2050 zu kleinen «Bernhattans» entwickeln. Generell wird das grüne und hochwertige Stadtbild aber erhalten und weiterentwickelt.
Wie interpretieren Sie die Rolle des Stadtplanungsamtes?
Wir erarbeiten Chancen zur Stadtentwicklung und generieren Ideen und Möglichkeiten für bessere oder neue Lebensräume. Dies am liebsten gemeinsam mit der Bevölkerung. Klar, am Schluss sind die Bauvorhaben Sache der Politik. Dennoch ist unsere Arbeit eine wichtige Voraussetzung dazu. Wir stehen am Anfang des Prozesses und können die Themen setzen und mitgestalten.
Denken die Bernerinnen und Berner gleich wie vor 15 Jahren?
Zum Glück nicht. Heute sind viele viel offener für neue Mobilitäts-, Wohn- und Arbeitsformen. Sie wollen Landschaftsschutz und eine intakte Umwelt und wissen, dass das nur geht, wenn jede einzelne Person weniger Wohnraum und Autoverkehr konsumiert. Das hilft der Stadt, denn diese wandelt sich mit dem Zeitgeist ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.
Interview: Dominik Rothenbühler