Steff La Cheffe (31) redet viel. Die Berner Rapperin formuliert ihre Gedanken nachdenklich und ausführlich. Gedanken, die es wert sind, gehört zu werden.
Steff, was bewegt dich momentan?
Mein Wohlbefinden, mein Zuhause, mein Gärtchen, jetzt ist ja Frühling! Ich war in letzter Zeit doch ein paarmal im Garten-Center (lacht).
Welche Kräuter pflanzt du an?
Alles, was man so braucht. Mediterrane Kräuter wie Salbei, Thymian, Rosmarin, Basilikum, Peterli, mein Namensvetter (Steff La Cheffe heisst bürgerlich Stefanie Peter, Anm. d. Red.). Dann auch noch Schnittlauch, Brunnenkresse, Koriander, Tomaten und Erdbeeren.
Hast du eigentlich viel Zeit, um dich darum zu kümmern?
Nein, aber ich nehme mir sie. Im Gegensatz zu früher, wo ich solche Dinge immer hintenangestellt habe und den Fokus total auf die Musik legte. Nun habe ich gemerkt, dass ich mir hier Kraft hole. Ich plane deutlich mehr Zeit für mich, meine Familie, Freunde und das Gärtchen ein.
Du bist eine Planerin?
Ich habe eine Online-Agenda, fülle sie mit Terminen auf und muss dann schon mal sagen: «Sorry, an diesem Abend habe ich mit einer Freundin abgemacht, wir müssen das Treffen leider verschieben.» Früher kam zuerst das Berufliche, und wenn dann noch Zeit übrigblieb, habe ich abgemacht. Nun merke ich, dass das Private genauso wichtig ist.
Du bist aber auch gerne mal für dich allein?
Absolut, ich brauche das. Mein Raum, meine Zeit.
Was machst du dann?
Ernährung ist in letzter Zeit sehr wichtig für mich. Gut kochen, gut essen … sich selber etwas Gutes tun. Ich nenne es Selbstfürsorge. Ich lese viel, mindestens ein halbes Dutzend Bücher, das ich lesen möchte, liegt herum.
Wer in dein neues Album «Härz Schritt Macherin» reinhört, könnte zur Erkenntnis kommen: Du bist einsam und an der Welt zerbrochen. Es muss dir wahnsinnig schlecht gegangen sein in den letzten Jahren.
Stellenweise schon, ja. Ich befand mich in einem ziemlich dunklen Tal. Dieses Jammertal habe ich durchschritten.
Wie sieht es dort aus?
Es ist kalt, dunkel, steinig, es hat ein paar Kakteen, sonst ist da nicht viel Liebliches. Man muss sich durchbeissen und darauf vertrauen, dass der nächste Morgen irgendwann kommt.
Was war der Grund?
Verschiedenes. Wenn es dir gut geht, strahlst du das aus, du ziehst alles Positive in dein Leben, von Beziehungen über Jobangebote bis zur Gesundheit. Wenn es dir hingegen scheisse geht, dann läuft es auf allen Kanälen bachab. Bei mir fand eine Art Umbruch statt, ich zog Bilanz meines bisherigen erwachsenen Lebens. Denn mit 20 ziehst du noch keine Bilanz. Du lebst jetzt oder in der Zukunft. Bei mir war es in dieser schwierigen Phase so: Ich hätte mega happy sein müssen, doch das Feuer, das dich 15 Jahre angetrieben hat, war irgendwie nicht mehr da. Ich geriet in ein Loch, in ein Vakuum. Deswegen habe ich mich abgeschottet. Ich musste überlegen, wie ich künstlerisch eine neue Inspiration finde. Weil ich gemerkt habe: Mehr von dem, was ich bis jetzt gemacht habe, ist kein Antrieb für mich. Aus Gold Platin zu machen: kein Antrieb. Das kickt mich nicht.
Hinzu kamen private Sorgen?
Ich stellte mir die Frage: Woher komme ich und wo will ich hin? Viele Leute kriegen in meinem Alter Kinder, das heisst, sie emanzipieren sich von ihrer Herkunftsfamilie. Ich habe zwar selber keine Kinder, aber trotzdem habe ich mich gefragt, was mir dient und wovon ich mich lösen muss. Diese Dinge – Heiraten, Kinderkriegen – sie stehen ja schon in einem heftigen Gegensatz zu einem Künstlerleben. Einem Kind sollte man einen guten Boden geben können. Ich habe begonnen, mich zu vergleichen und mich gefragt: Brauche ich ein solches Leben auch?
Und du hast dich nicht in einer besseren Position gesehen, wenn du vergleichst und …
(unterbricht) Vor allem: Die anderen haben studiert, verdienen 8000 Franken im Monat und ich stecke mein Herzblut in meinen Shit rein und kreise unter dem Strich beim Mindestlohn rum. Als 20-jähriger Mensch mag das ja okay sein, aber mit 30 bist du doch jemand! Ich habe ja keine Ausbildung, kann kein Diplom zücken und sagen: Hier, ich habe die Jazzschule mit Note 5 abgeschlossen. Ich mache das, was ich mir selber beigebracht habe und hatte damit in den letzten Jahren Erfolg. Doch ich habe mich selber blockiert: Ich hätte problemlos weitere Konzerte, Workshops geben können, moderieren oder Plakatwerbung machen und damit Geld verdienen können. Doch ich wollte nicht, ich hatte die Schnauze voll davon, eine öffentliche Person zu sein. Ich wollte nicht mehr ausgestellt sein, kommentiert und bewertet zu werden. Es gab Menschen, die mir auf der Strasse begegnet sind und mich an dieser einen Zeile «Ha ke Ahnig» aufgehängt haben.
Die gab es?
2013, ja, natürlich. Als ich am Bahnhof, dort, wo viele Leute rumhängen, vorbeilief, und man tuschelte: «Hast du gesehen, Steff La Cheffe?», oder jemand rief: «Hey, Steff: Ha ke Ahnig!» Das war schon ziemlich psycho. Ich meine, andere haben ein Auto, fahren von der Garage zu ihrem Termin, sehen niemand anderen als die Fotografen und Interviewer. Ich allerdings habe immer noch kein Permis, fahre mit Tram oder Bus oder dem Zug nach Zürich. Noch ein Beispiel: Ich war privat mit jemandem am Essen und dann kommt einer und fragt: «Hey, kann ich mit dir ein Selfie machen?» Und ich denke mir so: Mann, bist du blind? Du hast null Feingefühl, du verwechselst meine Künstler- mit meiner Privatperson. Aber damit muss ich leben.
Und nun gehst du dieses Risiko mit deiner neuen Platte und neuen Konzerten erneut ein.
Das ist der Preis, den ich dafür bezahle. Alles im Leben hat seinen Preis. Alles. Ein regelmässiger Beruf und Familie haben auch ihren Preis.
Zurück zu jenen, die deiner Meinung nach etwas sind, weil sie gut verdienen. Würdest du sagen, du bist nichts, «nur» weil du in den letzten fünf Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten bist? Du definierst dich doch nicht nur über die Musik.
Nein, aber was ich tue, war bisher nicht konkret und fassbar, das ändert sich jetzt langsam. Ich sehe: Das ist mein Weg! Und wenn es nicht reichen sollte, gehe ich dann halt wieder Käse einpacken. Aus Sicht von Herr und Frau Bünzli ist das, was ich mache, halt einfach nichts Richtiges.
Wirklich?
Es geht um Geld, um Sicherheit. Darum, dass Menschen investieren, sich Geld zur Seite legen, sich ein Haus kaufen, ein Stück Land. Das kann ich nicht. Ich kann meine Rechnungen bezahlen, ich kann fein essen gehen und ich gönne mir Ferien. Bloss: In diesen zwei Jahren, in denen ich Geld verdiene, verdiene ich und lege für die kommenden drei Jahre etwas zur Seite. In dieser Zeit schreibe ich Texte. Doch wer bezahlt mich dafür?
Klingt pessimistisch und, mit Verlaub, ziemlich frustriert.
Mich frustriert mehr, dass wir in einer Zeit leben, in der ich mir mit Werbung ein goldenes Näschen verdienen könnte, weil ich einfach meine Fritte irgendwo reinhalten würde. Für irgendein Produkt, das nichts mit mir zu tun hat. Ich meine: Von der Musik sagen alle, sie sei Seelennahrung … doch die Leute haben kein Bewusstsein dafür. Man ist bereit, zwei Franken für die Milch zu bezahlen, tausend Franken für die Miete, fünf Franken für einen scheiss Kaffee. Man ist bereit, sich zwei Werbungen vor einem Online-Video anzutun, man ist bereit, via Social Media zugespamt zu werden. Wir tolerieren Radio-, Fernseh- und Plakatwerbung, obwohl wir diesen Firmen unser Geld geben. Und dann sagen die Leute: «Was, dein neues Album ist nicht auf Spotify? Ich kann es nicht gratis streamen?»
Zwei deiner Songs findet man bereits dort, bei Spotify.
Ja, natürlich, das ist die Zukunft! Mit der Digitalisierung gab es eine immense Verschiebung. Früher hat man mit Kassetten- und CD-Verkäufen Geld verdient. Heute kannst du froh sein, wenn du deine Investitionen abbezahlen kannst. Um Geld reinzuholen, musst du live spielen. Und wenn du dann auf einem Plakat bist, heisst es sofort: «Ah, schau, sie hat sich verkauft!» Dabei verkauft sich die andere Person auch acht Stunden am Tag für ihren Job. Wir alle zahlen Steuern, wir alle sind Sklaven dieses Systems, wir sind alle Prostituierte. Und ich stehe halt in der Öffentlichkeit, mein Gesicht kennt man. Das macht nur an der Oberfläche einen Unterschied aus. Aber am Ende des Tages sitzen wir alle im gleichen Boot.
Natürlich.
Und ich mag nicht Influencer werden. Hey, wenn ihr auf dem Plakat seid … schön, ich könnte das nicht mit mir vereinbaren. Ich habe bloss Werbung gemacht für kleinere Firmen, für Dinge, die ich cool fand.
Erzähl weiter.
Im Bereich Kultur ist so wenig Geld vorhanden, in der Wirtschaft aber dafür so dermassen viel … das steht in keinem Verhältnis. Der Aufwand, den man hat, um mit Werbung Geld zu verdienen, ist im Gegensatz zum Ertrag absolut lächerlich. Die Jungen haben dafür kein Bewusstsein und ich will sie deswegen auch gar nicht verurteilen. Sie fragen sich: «Wozu sollte ich Geld für Musik bezahlen?» Dafür kaufen sie sich dann für 30 Franken eines deiner T-Shirts oder Schuhe, die du entworfen hast. Das finde ich schräg.
Wir müssen langsam zu einem Ende kommen. Ich habe mir noch zig weitere Fragen aufgeschrieben, von denen ich nun keine einzige gestellt habe …
Nimm die beste!
Dein Privatleben. Ich getraue mich fast nicht zu fragen … es wäre spannend zu wissen, wieso du so gar nicht darüber reden willst. Du möchtest nicht einmal sagen, ob du verliebt bist.
Hör in mein Album rein, da bin ich intim und persönlich genug. Eine Liebesbeziehung ist für mich etwas Heiliges, das ich sie nicht mit der Öffentlichkeit teilen möchte. Ich erhielt vor einigen Jahren ein Telefon eines Journalisten, dem ich mal ein Interview gegeben hatte. Er wollte wissen, ob ich einen Freund habe, weil sein Kollege mich angeblich mit diesem und jenem gesehen hatte. Ich finde das geschmacklos. Andere Leute sind da anders und zeigen sich gerne. Ich denke, das kann für eine Beziehung sehr belastend sein. Deswegen mache ich auch keine Home-Storys, vergiss es! Es geht niemanden etwas an, wie mein Sofa oder mein Schuhschrank aussieht.
Man könnte einen Mittelweg wählen.
Bern ist klein, es wird geredet. Es kamen auch sonst schon fremde Leute auf mich zu und fragten mich, ob ich jetzt mit jemandem zusammen bin. Wenn man zu meinem engsten Kreis gehört, würde man es sehen. Aber warum redet man hinter meinem Rücken über mich? Dieser Gossip interessiert mich nicht, ich rede auch nicht über andere. Mein Leben ist interessant genug, ich habe Probleme, um die ich mich kümmern muss. Was andere miteinander haben, ist mir egal.
Sprich: Es wird für dich enorm schwierig sein, mit einem möglichen Partner überhaupt irgendwo essen zu gehen.
Wenn etwas am Entstehen wäre und noch nicht klar ist, wo das hinführt: Warum sollte ich das zur Schau stellen müssen, nur weil das die Leute interessiert? Wenn ich dann einen festen Freund habe, werdet ihr das alle erfahren. Solang ich nichts Fixes habe, von dem ich weiss, dass es diese Belastungsprobe übersteht, muss ich das Ganze schützen wie ein kleines Pflänzchen. Es ist schon ohne Medien schwierig genug. Menschen wollen immer Definitionen. Seid ihr jetzt zusammen oder nicht? Vielleicht wüssten wir es ja selber noch nicht. Könnte sein, vielleicht haben wir haben einander gern, wissen aber nicht, ob etwas daraus wird.
Alles klar.
Du darfst schreiben: Ja, ich bin glücklicher Single! Aber jetzt kommen dann wieder all diese Anfragen (lacht).
Hauptsache, deinem Herz geht es gut.
Ja, es ist am Heilen. Ich bin auf dem aufsteigenden Ast. Ich habe Freude am Leben.
Yves Schott