Susanne Schneider ist die künstlerische Leiterin von BewegGrund, einem Verein, der sich seit 25 Jahren für inklusiven Tanz engagiert. Auch am diesjährigen Festival stehen behinderte und nicht behinderte
Menschen gemeinsam auf der Bühne.
Diversität ist mittlerweile ein Schlagwort geworden. Für Susanne Schneider ist Vielfalt seit sie denken kann, eine Selbstverständlichkeit. Schneider ist eine Pionierin des inklusiven Tanzes, Gründerin des Vereins BewegGrund und dessen künstlerische Leiterin. Nach einem Pädagogik-Studium an der Universität Fribourg ging sie nach London, um am renommierten Dance Laban Centre zu studieren. Dort absolvierte sie den Studiengang «Community Dance» und lernte mit swe Candoco Dance Company die erste inklusive Tanzgruppe Europas kennen. Schneider, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, kam verhältnismässig spät zum Tanz. Für die traditionellen klassischen Ballettschulen in der Schweiz war sie schon zu alt. Kultur hatte aber in ihrem Elternhaus durchaus ihren Platz gehabt. «Mein Vater spielte im Männerchor Theater, meine Mutter sang im Kirchenchor.» In London fand sie die Vielfalt, die sie sich wünschte. «Tanzen kann etwas Egozentrisches sein. Das hat mich nie interessiert.»
Heimat Dampfzentrale
Als Schneider in den Neunzigerjahren von London nach Bern zurückkehrte, hatte sie einen Traum. Sie wollte ihre eigene Company gründen, inklusiven Tanz in die Schweiz bringen, behinderte und nicht behinderte Menschen via Tanz zusammenführen. «Es war etwas naiv», so Schneider, die bald feststellte, dass sie gar keine Tänzer:innen mit Behinderung kannte. Ihr Engagement an den Berner Tanztagen in der Dampfzentrale führte sie schliesslich an einen Workshop, an dem Pionier:innen des inklusiven Tanzes teilnahmen. Sie konnte sich ein Netz aufbauen. 1998 gründete sie BewegGrund und erhielt in der Dampfzentrale Gastrecht. Das gleichnamige Festival findet nun bereits zum 13. Mal statt, der Verein feiert sein 25-jähriges Bestehen. (Siehe Box). «Es war mir wichtig, dass wir dort auftreten, wo die zeitgenössische Kunst stattfindet», so Schneider. Denn häufig werde inklusive Kunst an den Rand gedrängt. BewegGrund ist mittendrin. Der Verein hat als erste inklusive Tanzgruppe Förderung von Pro Helvetia erhalten, letztes Jahr wurde Schneider und der Verein BewegGrund vom Bundesamt für Kultur mit dem Schweizer Preis für darstellende Künste ausgezeichnet. Grund zur Freude? Durchaus. Aber auch Ernüchterung macht sich breit. Noch immer sei inklusiver Tanz und die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen keine Selbstverständlichkeit, schreibt etwa Mirjam Gasser, Präsidentin des Vereins BewegGrund im Programmheft des diesjährigen Festivals.
Zwillinge und ihre Sprache
Auch Susanne Schneider sagt: «Man wird zwangsläufig zur Aktivistin.» In der Dampfzentrale etwa ist der Backstage Bereich für gehbehinderte Menschen nach wie vor nicht zugänglich. Geltend gemacht wird der Denkmalschutz oder fehlendes Geld. Proberäume, die rollstuhlgängig sind, seien eine Rarität. Dabei ist die Gesetzlage eindeutig. Die Schweiz hat die Uno-Behinderten-Konvention unterschrieben, die Gleichstellung verspricht. Ein inklusiver Ansatz gilt bei BewegGrund auch für das Publikum. So gibt es während des Festivals Einführungen in Gebärdensprache oder Audiodeskriptionen.
Mit Rita Noutel und José Maldonado steht eine spanisch-schweizerische Co-Produktion auf dem Programm. Rita Noudel war Luftakrobatin. Ein Unfall brachte sie in den Rollstuhl. Sie gab jedoch das Tanzen nicht auf. Nun steht sie gemeinsam mit einem Flamenco Tänzer zu Live Musik des Berners Nicolas Perrin auf der Bühne. In «Une tentative presque comme une autre» geben die Zwillings-Brüder Guillaume und Clément Einblick in ihren Alltag. Einer wurde mit einer körperlichen Behinderung, einer Zerebral-Parese geboren, der andere nicht. «Tanz ist keine Therapie. Dazu sind wir nicht befähigt», stellt Susanne Schneider fest. Doch von einem ist sie überzeugt: «Kunst kann Wahrnehmung verändern.»
Helen Lagger
PERSÖNLICH
Susanne Schneider wurde am 15.12.1965 in Münsingen geboren. Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Schneider hat nach einem Pädagogikstudium in Fribourg am Laban Center in London Community Dance studiert. Sie ist Mitbegründerin und künstlerische Leiterin von BewegGrund und lebt in Bern.
BEWEGGRUND-FESTIVAL
« Bailes Extraños »
Freitag, 26.5., 20 Uhr | Heitere Fahne, Wabern
« Forme(s) de vie »
31.5., 19.30 Uhr | Eröffnungsansprache Alec von Grafenried, 20 Uhr Vorstellung
« Une tentative presque comme une autre »
Do, 1.6., 20 Uhr | Dampfzentrale
Fest 25 Jahre BewegGrund
Fr, 2.6., 18.30 Uhr | Dampfzentrale