Er fürchtet nicht einmal Bären: Michel Roggo gehört zu den bekanntesten Unterwasserfotografen der Welt. Dabei ist ihm das Tier an sich eigentlich ziemlich egal.
Eigentlich schon ziemlich unglaublich, dieser Typ. Da fotografiert Michel Roggo also schon seit 1987 professionell Lachse, Äschen, Karpfen, aber auch Bären – lauter Getier, das dem Deutschfreiburger halt eben so unter Wasser vor die Linse schwimmt und stampft. Doch abgetaucht, also so richtig mit Ausrüstung, ist er zum ersten Mal vor erst vier Jahren. Mit 62. Wie bitte geht das denn? Roggo entdeckt als Dreissigjähriger seine Leidenschaft fürs Bild, entwickelt ein Auge für die reizende Fauna in Alaska. Drückt ab, wenn ihm ein Adler vor die Kamera fliegt. «Dann sah ich einen Fluss voller Lache und war vom ersten Moment an beeindruckt. Die anderen Tiere vergass ich komplett.» Jahre ziehen ins Land, das Feuer lässt Roggo nicht los. Im Gegenteil. Mitte der 80er-Jahre bestellt er bei einer auf Tauchzubehör spezialisierten Zürcher Firma ein Unterwassergehäuse mit Kabel. Prädikat: unbefriedigend. «Nur durch Zufall entstand manchmal ein gutes Bild.» Das grosse Basteln nimmt seinen Lauf. «Ich begann, die Geräte mit Stangen zu führen und habe die Technik weiterentwickelt.» Heute besitzt der Mann, der im typischen Seislerdütsch redet, vier solcher modernen Unterwassergehäuse mit, aber auch ohne optischer Kontrolle.
Düstere Flüsse und Seen
Rund 40 Gewässer hat Roggo rund um den Globus gesehen und besucht. Er blieb dazu meist am Ufer, steuerte seine Geräte vom Trockenen aus. «Ich bin Fotograf und nicht Taucher.» Er schoss beeindruckende Porträts, die bei Wettbewerben wie dem BBC Wildlife Photographer of the Year ausgezeichnet und in renommierten Magazinen wie dem «GEO» oder dem «National Geographic» publiziert wurden. Hinzu kommen zig Ausstellungen und Vorträge. Dem Meer schenkt er übrigens keine grosse Beachtung. Great Barrier Reef und Rotes Meer kann jeder, scheint sich Roggo zu sagen. Das Süsswasser ist sein Zuhause. Flüsse, Seen, am besten noch unklare, düstere. «Viele sagen, im Murtensee könne man nicht fotografieren, dafür sei er viel zu trüb. Ich mache da traumhafte Bilder.» Solche hat Roggo auch in der Aare geschossen. Besonders die renaturierte, revitalisierte Zone in Rubigen zwischen Bern und Thun hat es ihm angetan. Obwohl es zunächst kritische Stimmen aus der Bevölkerung gab. «Tannen wurden umgesägt, Dämme aufgebrochen. Viele Leute dachten, man mache alles kaputt. Doch in kürzester Zeit hat sich das Gebiet zu einem Paradies entwickelt. Otter, Eisvögel, Fische …» Der Schwarm vom Schwarm. Und dann sagt Roggo einen erstaunlichen Satz: «Das Tier an sich interessiert mich nicht.» Jetzt aber. Der meint das wirklich so, oder? «Ich versuche bloss, die Magie der Unterwasserwelt einzufangen, manchmal ist die Stimmung wie in einer dunklen Kathedrale, in die Licht einfällt.» Einen Blitz braucht er nie.
«Ich verstehe die Bärensprache»
Damit hätte der ehemalige Lehrer damals, 2012, in Kamtschatka, wohl die Bären sowieso nur verscheucht. Oder vielleicht sogar verärgert. Kamtschatka ist eine Halbinsel im äussersten Nordosten Asiens und gehört zu Russland. Die Region wird geprägt von Vulkanen, Geysiren, Wäldern und Gewässern. Dünn besiedeltes Gebiet. Füchse, Elche, Schneeschafböcke leben dort. Vor allem aber: Bären. Dank persönlicher Kontakte darf Roggo mit seinen Kameras dorthin. Und hält die Momente fest, an denen sich die braunen Riesen am Fluss ihren frischen Lachs abholen. «Ich hatte Respekt, aber nie Angst. Ich verstehe die Bärensprache und weiss, wann ich weg muss.» Mit dem grössten und stärksten Bären habe er sich am besten verstanden. «Eine Geschichte zwischen zwei alten Männern.» Er muss lachen. Nun hat Roggo, dessen Frau vor vier Jahren verstarb und die ihm immer noch Halt und Energie für seine Tätigkeit gibt, also alles gesehen. Fast alles. Der Vandasee in der Antarktis fehlt ihm noch. Am Grund 25 Grad warm, an der Oberfläche -2, dem Vulkanismus sei Dank. 600 Gramm Salzgehalt pro Liter Wasser. Seit rund zwei Millionen Jahren hat es dort nicht mehr geregnet. Wer wollte, konnte bis 1995 in den «Royal Vanda Lake Swim Club» aufgenommen werden. Teilnehmer mussten dazu komplett nackt im See baden, untertauchen, durften aber ein Feigenblatt – allerdings ohne künstliche Farbstoffe – tragen. Wann gehts hin? «Am Tag, an dem man keinen Traum mehr hat, ist man tot», meint Michel Roggo. Die Sache mit dem Vandasee eilt ja nicht.
Yves Schott