Die machen das tatsächlich freiwillig. Zweimal pro Woche steigen die Mitglieder des
Gfrörli-Clubs während der kalten Jahreszeit in die Aare. Freaks? Mitnichten. Ein Augenschein vor Ort am Altenbergsteg.

Sie zögern nicht lange, wenn sie es denn überhaupt tun. Es dauert nur ein paar Sekunden, bis alle vom Steg ins Wasser gehüpft, gesprungen oder reingewatet sind. Hier ein kurzer Juchzer, dort ein frostiges «Brrr!» – und dann gewinnt man von aussen tatsächlich den Eindruck, diese Menschen haben Spass an dem, was sie da gerade machen.

Rückblende, einige Minuten zuvor. Es ist ein kalter, aber sehr freundlicher Freitagvormittag in Bern. Nicht so frostig allerdings, wie es einem einige Radiostationen Glauben machen wollen, die den Zuhörern nahezu pausenlos eintrichtern, welch saumässig arktischen Temperaturen gerade vorherrschten. Nein, ein normaler Wintertag halt, einfach ohne Schnee.

«Ausreden gibt es keine  und wenn die Sonne scheint,
so wie jetzt, fühlt sich alles sowieso viel angenehmer an.»

Gleich neben dem Altenbergsteg zi eht sich im angrenzenden Park ein kleines Grüppchen um. Leute mittleren Alters; heute vorwiegend Männer, am Dienstag, wenn sich der Gfrörli-Club ebenfalls um 11.30 Uhr trifft, sei die Gender-Konstellation durchmischter, sagt jemand. Alle tragen Bikini oder Badehose, natürlich. Nur rund zehn Minuten später ist der Badespuk vorbei – alle wieder an Land, dick eingewickelt in Badetücher oder schon zurück in den Kleidern.

«Nicht gross überlegen»
Markus Wild ist seit rund acht Jahren Mitglied des Gfrörli-Clubs, der 2006 von Studenten aus einer Bieridee heraus entstand, dessen Gründungsmitglieder aber schon längst ausgetreten sind. «Mir gibt der Aareschwumm zu dieser Jahreszeit einen enormen Kick, ich fühle mich dann nachmittags so fit wie selten», sagt der 55-Jährige, der ursprünglich aus der Ostschweiz stammt.

Pro Saison, die beim Gfrörli-Club von November bis April geht, stürzt er sich zwischen dreissig und vierzig Mal in die eisige Aare. «Meine Lieblingstemperatur liegt zwischen 6 und 10 Grad.» An diesem 25. Januar zeigt das Thermometer knapp vier Grad an. Doch kneifen gilt nicht. «Ausreden gibt es keine … und wenn die Sonne scheint, so wie jetzt, fühlt sich alles sowieso viel angenehmer an.» Mit den Füssen in die Aare und dann abwarten – diese Strategie funktioniert laut Wild überhaupt nicht. «Man darf nicht gross überlegen.»

50 Rappen ins Kässeli, jedesmal
Gleicher Meinung ist Annushka Leykum, die soeben dazustösst. Zuvor hat sie allen Teilnehmenden, etwa zehn an der Zahl, heissen Chai-Tee serviert. «Den aus dem Länggass-Laden, schreib das hin», meint sie mit einem Augenzwinkern.

Die gebürtige Russin hat sich bereits zweimal den Jackpot geholt. Jedes Gfrörli-Club-Mitglied zahlt pro Aareschwumm-Teilnahme 50 Rappen in ein Kässeli ein. Wer sich am häufigsten blicken lässt, räumt ab und darf das Geld für sich behalten.

So oft sich die illustre Truppe derzeit trifft, so selten werden ihre Begegnungen zwischen Mai und Oktober. «Im Sommer sehen wir uns höchstens einmal, machen die Aareschlaufe und gehen dann Pizza essen», erklärt Wild. Irgendwie ist es jetzt, wenn die Zähne schlottern, spannender und aufregender.

Für Annushka dürfte das zweimal wöchentlich stattfindende Ritual ein Klacks sein: Die 40-Jährige aus Sibirien duscht oder badet auch zuhause kalt, – im Gegensatz zu Markus Wild, der privat wärmeres Wasser vorzieht – «um Wärme abzulassen», wie sie es nennt. Ihr, der es sogar im doch eher gemässigten Schweizer Sommer schnell mal zu heiss wird.

Die Haushaltleiterin, die zudem über einen Master in russischer Literatur verfügt, hat eine fünfeinhalbjährige Tochter. «Sie ging früher hier im Altenberg in die Kita. Wenn die Leiterin dann im Winter jeweils erzählt hat, ich sei schwimmen gegangen, sagten die anderen Eltern jeweils, sie solle nicht so einen Seich erzählen. Aber es stimmte ja», lacht Annushka.

Mittlerweile ist die Tochter im Kindergarten. Und wohl schon bald Mitglied im Gfrörli-Club.
Yves Schott