Als Mitglied der Muotathaler Wetterschmöcker liest Alois «Tannzapfen» Holdener seine Prognosen vom Waldboden ab. Er ist sich sicher: Der Sommer 2021 macht, was er will. Schlechte Laune schiebt der Schwyzer dennoch nicht.
Er gehört zu den kultigsten Wetterfröschen der Schweiz: Wetterschmöcker Alois Holdener verpackt seine Vorhersagen in unterhaltsame Texte und liegt nur selten daneben. Obwohl er immer gleich für sechs Monate prophezeit.
Sein Geheimrezept: Die Weisheit der Pflanzen. «Wichtig ist der Mascht», fachsimpelt der pensionierte Forstwirt und beugt sich zu jungen Buchensprösslingen herunter. «Wenn ich im Herbst sehe, dass viele Samen wie Buchennüsse auf der Erde liegen, weiss ich, dass die Bäume mit einem schlechten Sommer rechnen.» Denn jede Pflanze strebe danach, sich auch bei ungünstigen Bedingungen vermehren und so überleben zu können. «Die Natur ist immer ein Jahr voraus.» Solche und ähnliche Phänomene beobachtet der begeisterte Hobbymeteorologe beständig. Auch Insekten, Pilze und seine Spitznamensgeber, die Tannenzapfen, sind wichtige Indizien. Liegen viele Fichtensamen im Schnee, sei das kein gutes Zeichen.
Seitenlange Kritik
Dieser Sommer werde abwechslungsreich, mit viel Hudelwetter und Gewittern. Und im Herbst sieht es nicht besser aus: Erste Schneeflocken prophezeit Holdener in den Bergen schon im September. «Zu kühl und feucht», so sein knappes Fazit für September und Oktober. Viele hoffen wohl, dass sich die Wetterpropheten irren. Die Chancen dafür stehen aber gering. Eine Jury des Vereins wertet stets die Trefferquote der sechs Wetterweisen aus. Und die Herren sind gut: Mit bis zu 80 Prozent sagten sie in den vergangenen Jahren die Wetterlage für Sommer und Winter richtig voraus.
Der kultige Meteorologenverein macht daraus gar einen Wettbewerb. Das letzte Mal prophezeite Martin Holdener das Wetter am genausten und erhielt 13,5 Punkte. Direkt dahinter Alois Holdener mit 13 Punkten. Eine Leistung, auf die der Innerschwyzer stolz ist. Und wenn er mal daneben liegt? «Es ist immer noch eine Prophezeiung. Die kann auch nicht eintreten.» Zwischen ihm und den täglichen Meteonews gäbe es einen himmelweiten Unterschied.
Doch warum sind die Wetterschmöcker, sechs ältere Herren aus einem kleinen Tal, so beliebt? Einerseits sei natürlich die Langzeitprognose attraktiv. «Doch der Verein ist auch einfach Unterhaltung. Es geht um mehr als nur ums Wetter. Es ist das Menschliche, das die Leute an uns mögen.» Da nimmt er es gelassen, wenn er in der Beiz angesprochen oder gar in ellenlangen Briefen kritisiert wird.
Seit 1985 gehört Holdener dem meteorologischen Verein Innerschwyz mit rund 4500 Mitgliedern an. Seine Begeisterung fürs Wetter entstand im Beruf. Er lernte viel von seinem Chef, aus Überlieferungen und las sich über die Jahre einiges an. Auf einem aussichtsreichen Bänkli hoch über seinem Heimatort Schwyz angekommen, geniesst Holdener den Blick über See und Berge. Dass die ersten Monate des Jahres so kühl und feucht waren, stört ihn nicht: «Wir hatten in den letzten zehn Jahren immer zu warmes Wetter. Jetzt ist es eigentlich normal.» Grosser Profiteur des Regens ist dabei Holdeners geliebter Wald, der unter dem Klimawandel besonders leidet.
Klimawandel ist für Holdener kaum ein Thema
Trotz seiner ständigen Beschäftigung mit dem Wetter ist der Innerschwyzer noch nicht zum Klimaaktivisten geworden. «Viele vergessen, dass es auch früher schon Extreme gab. Die Wetteraufzeichnungen des Klosters Einsiedeln zeigen, dass man im 14. Jahrhundert in einem Januar schon auf die Alp konnte, in anderen Jahren ging es gar nicht.» Der Wandel bedinge vor allem eine Wetterverschiebung und mehr Extreme.
Klimaschutz geht er praktisch an und führt ein naturverbundenes, sparsames Leben. Die 150-jährigen Bäume um ihn herum sieht er mit Ehrfurcht an. Am liebsten mag es der Wetterprophet, im Herbst aus dem nebelverhangenen Tal nach oben zu wandern. Er geniesst seine Pension und freut sich gerade über die Wiedereröffnungen der Beizen. Er habe immer gute Laune, ob bei Sonnenschein oder Hagel. Dass viele Menschen den Wetterbericht auch als Gute-Laune-Barometer nutzen, löst bei dem Pensionär Kopfschütteln aus. «Alle meinen, es müsste dauerhaft schön sein. Dabei gehört das schlechte Wetter genauso dazu.»
Wird es also diesen Sommer in Bern nichts mit dem Aareschwumm? Im Juni jedenfalls noch nicht. Doch der Wetterschmöcker lacht: «Wenigstens die ersten zehn Tage im Juli und die letzte Juliwoche bis 11. August werden heiss und schön.» Nur an den Gewittern darf man sich nicht stören. Tendenziell habe die Stadt Bern mehr Chancen auf gutes Wetter. Und auch im Mitte September stehen noch einige milde Tage an. Die Wetterhoffnung stirbt zuletzt.
Michèle Graf