Img 8584

Als Kind lag er wochenlang unbeweglich im Gips im Spital

Jede Verschiebung in eine unbekannte Gegend, in ein Gebäude oder öffentliches Verkehrsmittel ist für Daniel Peter mit Organisation und Abklärungen verbunden. Doch die Berner Frohnatur kennt nichts anderes.

Daniel Peter öffnet kurz nach dem Klingeln die Haustür – gehend am Stock. In seinem grossen Haus bewegt er sich meist ohne Rollstuhl. «Draussen, auf unebenem Gelände, stelle ich in den letzten Jahren eine zunehmende Unsicherheit fest», erzählt der 59-Jährige. Bei Stürzen hat er schon zweimal den Oberschenkelhals gebrochen. Durch seine Fehlstellungen in den Hüften und Knien ist die Abnützung stärker. So benützt er draussen vermehrt seine «Jenny», einen Rollstuhl auf Segway-Basis. «Damit bin ich sehr rasch und mobil.» Er führt den Rollstuhl stets im Kofferraum seines (nicht umgebauten) Autos mit.

Wunder des Lebens

Seine Geschichte hört sich an wie ein Katastrophenroman: 1963 – Daniel war ein Jahr jung – verunfallte die dreiköpfige Familie mit dem Auto. Der Säugling erlitt eine Hirnquetschung, aber keine Brüche. Seine Eltern überlebten den Unfall nicht. Danach lag Daniel Peter sechs Monate lang bewusstlos im Spital. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben und meinten, dass es wohl besser wäre, wenn der junge Erdenbürger sterben könnte. «Das habe ich dann aber nicht getan!», erinnert er sich heute lachend. Durch die Hirnquetschung wurde das Bewegungszentrum zerstört. Die körperliche Entwicklung verlief nicht normal und im Alter ab sechs Jahren musste er mehrere Operationen über sich ergehen lassen. «Manchmal lag ich einen Monat lang unbeweglich im Gips im Spital. Es ging darum, den Körper so hinzukriegen, damit er brauchbar wird! So mussten beispielsweise Achilles- und Kniesehnen verlängert werden.» Daniel Peter schildert diese schwere Zeit heute sachlich nüchtern. Gewiss, hie und da erlebte er in der Kindheit auch Tiefpunkte, wenn er seinen «Gspänli» bei Sport und Spiel zusehen musste. «Aber gehadert mit der Situation habe ich selten. Ich bin grundsätzlich ein fröhlicher Mensch.» Seine Jugend verbrachte er sonst «normal» in der Familie seiner Tante. Heute sei eine körperliche Beeinträchtigung für die meisten Menschen kein Stigma mehr, sagt Daniel Peter erleichtert. «Vor 30, 40 Jahren habe ich das noch anders erlebt. Die Mitmenschen glaubten, für dich denken zu müssen und nahmen dir sozusagen die Zügel aus der Hand. Man wurde dadurch gewissermassen entmündigt.» Wenn er Hilfe benötige, spreche er die Menschen an. «Ich bin ein kommunikativer Mensch», sagt der diplomierte PR-Berater. Es gebe auch heute noch viele Gebäude, die nicht rollstuhlgängig seien. Es habe sich zwar vieles verbessert und die Baugesetzgebung sei in der Schweiz fortschrittlicher als in Nachbarländern. «Heimat- und Denkmalschutz sind zu befürworten, aber manchmal werden sie als Ausrede missbraucht, um keine baulichen Hindernisse beseitigen zu müssen», bemängelt Daniel Peter.

Liebesglück in den Ferien

Die Suche nach einem geeigneten Wohnhaus gestaltete sich nicht einfach und dauerte mehrere Jahre. Vor 20 Jahren wurde Daniel Peter in Bellmund fündig. «Das Haus musste eine gewisse Grösse haben, damit ein Lift eingebaut werden konnte», erzählt Peter. «Die hundertprozentige Rollstuhlgängigkeit ist unabdingbar. Ich weiss nicht, wie lange ich noch selber gehen kann.» Er liess sich von der SAHB Hilfsmittelberatung eine Analyse erstellen. Diese Fachstelle arbeitete im Auftrag der Invalidenversicherung, welche die Mehrkosten für die Barrierefreiheit übernahm. So musste beispielsweise das Garagentor elektrisch bedienbar sein, die Räume durften keine Türschwellen haben, die Dusche musste gross genug sein für einen Rollstuhl. «Unser Haus ist nun vollständig barrierefrei!», strahlt Daniel Peter. Daniel Peter kennt seine (nicht beeinträchtigte) Partnerin Angela seit 36 Jahren, sie haben sich während Ferien in St. Moritz kennen und lieben gelernt. Seit 2003 sind die beiden verheiratet. Ist es eigentlich schwierig, als beeinträchtigter Mensch eine Lebenspartnerin kennenzulernen? «Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist bei uns nicht eingeschränkt», sinniert Daniel Peter. «Viele nicht beeinträchtigte Personen sind aber von der Situation überfordert, wenn sich ein behinderter Mensch in sie verliebt. Das musste auch ich vorher erfahren, die Antwort lautet daher: Es ist zweifellos schwieriger.» Über Behindertenwitze lacht auch Daniel Peter, er ist aber grundsätzlich der Meinung, dass nur Menschen mit Beeinträchtigung sich über ihresgleichen lächerlich machen sollten. «Sie kennen die Situation aus eigenem Erleben am treffendsten. Ist man nicht in der gleichen Lage, ist man meist verletzend.»

«Das ging damals ab wie eine Rakete»

Seit acht Jahren hat sich Daniel Peter der Entwicklung und dem Vertrieb von Produkten verschrieben, die vorwiegend Menschen mit Beeinträchtigung das Leben erleichtern sollen. Die Pflastersteine andalusischer Städte – eine Tortur für Rollstuhlfahrende – brachten ihn auf die Idee, mit einem Freund ein Fussbrett zu entwickeln, das stark genug war, das Vorsatzrad FreeWheel aufzunehmen. Zusammen mit einem Glasbläser kreierte der passionierte Weinkenner zudem ein spülmaschinenfestes Kristallglas, welches an einem Ständer aufgehängt werden kann, getrunken wird aus einem feinen Glasrohr. Es ist für Menschen gedacht, die nicht selber ein Glas halten, es zum Mund führen, riechen und trinken können. «Einen Barolo mit dem Plastikröhrchen trinken – unmöglich!», so das Verdikt von Daniel Peter. Damit nicht genug: Seit Juni 2020 vertreibt er eine Schweizer Schutzmaske mit antiviralem Stoff, welche mit einer Hand angezogen werden kann und die EU-Norm für FFP2-Masken erfüllt. «Das ging damals ab wie eine Rakete», blickt der Tüftler stolz zurück. Derzeit bräuchte es allerdings wieder einen Umsatzschub. Wetten, dass der Tausendsassa auch dies wieder schafft?

Peter Widmer

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge