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«Am Wohnungskauf sind schon Partnerschaften zerbrochen»

Kaufen oder Mieten? Wenn sich jemand mit dem kontrovers diskutierten Thema auskennt, dann Andreas Schlecht. Der Präsident des Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft SVIT Bern wagt eine Einschätzung.

Ist Kaufen oder Mieten eine reine Typenfrage?
Jein, denn es gibt mindestens zwei Aspekte: erstens der Wille. Wer eine Immobilie kauft, möchte sich fest und langfristig niederlassen. Ich nenne es gerne «ein Nest bauen». Einflussfaktoren sind dabei die Partnerschaft, das Alter der Kinder sowie der Arbeits- und Lebensort. Ein Mietinteressent hingegen denkt eher in kürzeren Sequenzen, möchte flexibler sein. Des Weiteren zählt bei einem Kauf auch das Können – sprich das Eigenkapital sowie die Einkommensverhältnisse. Die Finanzierung eines Eigenheims ist eine Hürde.

Bezogen auf die finanzielle Situation: Ab wann lohnt sich eine Eigentumswohnung, wann ein eigenes Haus?
Sehr oft gehört ein eigenes Haus zu einer bestimmten Lebensphase, beispielsweise zur Familiengründung. Für ein Haus spricht die Zeitspanne der Kinder vor der Einschulung bis zum Berufsübertritt. Danach wird wohl eher eine Wohnung Thema.

Welches sind die Vor- und Nachteile von Eigentum?
Unmittelbar erscheinen bei einem Kauf der monatliche Zins und die Amortisation tiefer. Man hat grössere Freiheiten, sich so einzurichten, wie man sich wohlfühlt. Zu den Nachteilen gehören «versteckte» Wohnkosten wie der Unterhalt der Immobilie, Reparaturen sowie die Demodierung (Werteinbussen) und Abzahlung. Und nicht zuletzt zeigt die Energiewende oder ganz aktuell der Corona-Lockdown, dass die technische Entwicklung und die Digitalisierung im Homeoffice höhere Kosten mit sich bringen.

Wer und wie soll man sich beraten lassen?
Alle. Der Prozess für den Erwerb von Eigentum braucht viel Zeit: Informationsbeschaffung auf allen Kanälen, die Analyse von Vor- und Nachteilen. Nicht zu vergessen ist eine offene, familieninterne Gesprächsführung. Ein Makler mit Erfahrung und einem soliden SVIT-Background erkennt Dysbalancen der Käuferschaft – zum Beispiel unter Paaren – frühzeitig und spricht sie mit gezielten Fragen an. Ich habe schon erlebt, dass Partnerschaften im Kaufprozess zerbrochen sind. Das läuft dann ungefähr so ab: Die Interessenten reservieren das Kaufobjekt, fahren zwei Wochen in die Ferien, kommen zurück und sagen ab. Das ist für uns Makler eine Enttäuschung, aber besser für die Beziehung, weil offen über das Thema diskutiert wurde. Ein Immobilienkauf muss reifen.

Können Sie eine Beispielrechnung machen?
Ganz grob: Wenn Sie für eine Viereinhalbzimmerwohnung monatlich 2000 Franken bezahlen, kostet ein Eigentum im gleichen Segment aktuell wohl 1500 Franken. Ein Kauf erscheint unmittelbar günstiger. Aber Amortisation, Unterhaltskosten, Demodierung und der Zinssatz der Bank von 5 Prozent kumulieren sich. Insgesamt kommt Wohneigentum, das Sie über 30 Jahre abzahlen, teurer als die Mietkosten. Die Mietwohnung ist zurzeit aufgrund der tiefen Referenzzinsen und der örtlichen Leerstände zusätzlich attraktiv – das Angebot ist gross und es gibt keine versteckten Kosten.

Heisst das, Sie raten eher vom Kauf von Eigentum ab?
Nein. Es geht bei einem Haus- oder Wohnungskauf ja nicht nur um die finanzielle Rendite, sondern auch um eine Erlebnisrendite: Sich im Eigenheim und in der Mikroumwelt einnisten – baulich, gesellschaftlich, zusammen mit den Nachbarn und Freunden –, das ist doch etwas Wunderschönes und unbezahlbar. Ein Kauf kann im besten Fall einen Mehrwert bringen, jedoch ist dessen Entwicklung nicht vorhersehbar.

Bis vor der Krise ist der Hypothekarzins gesunken, dafür wurden die Häuser teurer. Was bedeutet das und wieso ist das passiert?
Das lässt sich nur sehr unterschiedlich interpretieren. Zentrale Rollen spielen die Dauer der aktuellen Corona-Krise, der Zeitpunkt der Lösung sowie der Zustand der Wirtschaft, die Arbeitsplatzsituation und die herrschenden Preise für Leben und Wohnen danach. Einschneidende Erlebnisse wie jetzt die CoronaEpidemie, Job-Angst, Lohndruck, Inflation usw. sind schlechte Kollegen für den Liegenschaftshandel.

Wagen Sie eine Prognose?
Lieber nicht. Aber sicher ist: Die Zeit des Exils in den eigenen vier Wänden wird den Wert des Wohnens verändern. Vielleicht gewinnt das «eigene Nest» nach Corona an Mehrwert und die Menschen werden weniger Geld für Luxusgüter und Ferien ausgeben. Schön wärs, wenn mehr ins eigene Zuhause investiert würde.

Regina Münstermann

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