«Auf dem Fussballplatz war ich immer ein Rechter»

Peter Vollmer ist 74 und gilt als fittester Berner. Bisher hat er keinen einzigen Grand Prix von Bern verpasst. Auch am New Yorker Marathon war er schon mit dabei.
«Es war ein Journalist, der mich auf den Lauf aufmerksam gemacht hat», erinnert sich Peter Vollmer. Heinz Schild, der Initiant des Grand Prix von Bern, sass regelmässig als Vertreter der Medien im Stadtratssaal und suchte nach prominenten Mitläufern. «Ich war schon immer sportlich und habe ohne zu zögern mitgemacht.» Seither ist der ehemalige Nationalrat und SP-Politiker jeden Grand Prix von Bern gelaufen. In diesem Jahr wurde die 39. Ausgabe Corona bedingt um ein Jahr verschoben. Fit ist Vollmer natürlich trotzdem. «Ich trainiere zur Verwunderung meiner Familie ohne System», so Vollmer. «Ich laufe einfach der Aare entlang, wenn möglich viermal pro Woche.» Vollmers Bestzeit, um die 16,6 Kilometer lange GP-Strecke zu bewältigen, beträgt eine Stunde und vierzehn Minuten. Letztes Jahr hat er mit über 1:40 nicht brilliert, wie er fndet. Der GP ist einer der grössten Laufveranstaltungen der Schweiz und wird seit 1982 jährlich in der Stadt Bern durchgeführt. «Dass ich von Anfang an jedes Jahr dabei sein konnte, hat auch mit Glück zu tun», so Vollmer. Einmal hat er nur drei Wochen nach dem Lauf das Bein gebrochen. «Wettkämpfe wie Marathons sind wegen der hohen Körperbelastung eigentlich ungesund. Am besten würde man nur trainieren und dann gar nicht am Lauf teilnehmen», scherzt Vollmer. Aber natürlich mag er die Herausforderung und den sozialen Aspekt. Vollmer hat auch schon am Marathon in Berlin und an jenem in New York teilgenommen und ist dabei immer die ganze Strecke von 42,195 Kilometern gelaufen. «Es ist fantastisch. Man rennt durch alle Quartiere, vom jüdisch geprägten bis zum Latino-Viertel, vorbei an heruntergekommen Orten und herausgeputzten Villen und wird überall angefeuert.»

Klimajugend ist «zu harmlos»
Seit neuneinhalb Jahren ist Vollmer pensioniert. Das gibt ihm Zeit für neue Projekte. Vollmer gehört zusammen mit seiner Frau zu einer kleinen Gruppe von «Reginafans», welche das gleichnamige Jugendstilhotel in Mürren vor der Schliessung und Umnutzung gerettet haben und es jetzt als Kulturhotel zur Blüte bringen. Auch in Berlin, der Heimatstadt seiner Frau, ist Vollmer regelmässig anzutreffen. Während der Zugreise liest er meistens gleich ein ganzes Buch. «Im Moment lese ich einen sogenannten Wenderoman, der zur Zeit des Mauerfalls spielt», so Vollmer. Dass man ihm einst eine zu grosse Nähe zur DDR vorwarf, fndet er bis heute unfair. «Eng waren vor allem die Beziehungen der Schweizer SP zur deutschen SPD und zu Willy Brandt.» Auf einem schwarzweissen Foto, das kürzlich wieder in der Presse auftauchte, sieht man den jungen Vollmer im Hintergrund einer denkwürdigen Szene. Der kürzlich verstorbene Ex-SP-Präsident Helmut Hubacher und der kommunistische Politiker Erich Honecker schütteln sich die Hand. Vollmer sah damals mit seiner runden Brille und den etwas längeren Haaren wie ein typischer 68er aus. «Der Vietnamkrieg hat uns politisiert. 68 war vor allem eine Emanzipationsbewegung.» Findet er im Rückblick manche Forderungen seiner Generation nicht etwas überspannt? «Überhaupt nicht. Ich fnde die heutige Klimajugend fast etwas zu harmlos», meint Vollmer, der sich wünscht, dass die Jugendlichen sich «radikal durchsetzen». Er selbst fühlt sich dem linken und grünen Flügel der SP zugehörig. Im Nationalrat spielte er gemeinsam mit dem politischen Gegner Fussball. «Ueli Maurer spielte so wie er politisiert. Ziemlich hart», erinnert sich Vollmer lachend. «Ich selbst war ironischerweise auf dem Fussballplatz immer ein Rechter. Einmal als rechter Stürmer und später als rechter Verteidiger.»

Veganer und Aareschwimmer
Vollmer sieht das Alter als grosse Freiheit. «Der Soziologe Peter Gross hat einmal geschrieben, die Alten sind am gefährlichsten. Die haben nichts mehr zu verlieren.» Opportunismus und Dilettantismus sieht er als Hauptprobleme der Parlamente. «Ist man pensioniert, muss man keine Lobby mehr bedienen.» Vor dem Tod fürchtet Vollmer sich nicht. «Ich stelle es mir vor, als ob man einer Maschine den Stecker zieht. Es ist vor allem für die Hinterbliebenen traurig.» Seit zwei Jahren ernährt Vollmer sich vegan und fühlt sich ftter denn je. Am Morgen hat er einen Aareschwumm unternommen. Nun schaut er auf seine App und staunt. «20,7 Grad ist die Aare mittlerweile. Ich glaube ich gehe heute Abend nochmals rein.» Helen Lagger

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