Sie leistet als Rechtsmedizinerin einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung aussergewöhnlicher Todesfälle und sucht dafür wie eine Detektivin nach kleinsten Hinweisen.
Lachend begrüsst uns Antje Rindlisbacher am Empfang des Instituts für Rechtsmedizin an der Murtenstrasse. Die Fachärztin für Rechtsmedizin und stellvertretende Abteilungsleiterin arbeitet seit fast 13 Jahren in diesem Beruf. Wenn ihr von der Polizei ein aussergewöhnlicher Todesfall wie zum Beispiel ein Unfall oder Suizid gemeldet wird, muss sie oder eines ihrer Teammitglieder ausrücken. Allein im Kanton Bern sind das rund 1000 Einsätze pro Jahr. «Was viele nicht wissen: Wir untersuchen jedes Jahr auch etwa 600 lebende Personen, die in ein Gewaltdelikt verwickelt waren. Das geht von häuslicher Gewalt über Schlägereien und Messerstechereien bis zum gesamten Spektrum der sexuellen Gewalt.»
Rindlisbacher arbeitet in einem Umfeld, das die meisten Menschen nur aus dem Fernsehen kennen. Die Rechtsmedizinerin gibt zu, dass auch sie in der Freizeit gerne Krimis schaut. «Ich darfs fast nicht sagen. Ich liebe Krimis!» Lachend ergänzt sie: «Auch Real Crime-Dokus wie ‹Medical Detectives› lasse ich mir selten entgehen.»
Aussergewöhnliche Todesfälle und Gewaltdelikte aufklären
Der Job von Antje Rindlisbacher umfasst viel mehr als eine Leiche zu begutachten. Am Einsatzort sind Konzentration und gutes Teamwork gefragt. «Wenn ich vor Ort eintreffe, sind bereits zwei uniformierte Polizisten da. In der Regel sind auch schon anderen Spezialisten, wie ein Fahnder oder die Spurensicherung, präsent. Nach kurzer Begrüssung schaue ich, ob Angehörige anwesend sind und gut betreut werden. Dann informiert mich die Polizei, was passiert und was bereits bekannt ist. Anschliessend beginne ich mit meiner forensisch-analytischen Arbeit.» Wie eine Detektivin verschafft sie sich einen Überblick. Wurde das Opfer in einer Wohnung gefunden, sucht sie nach Medikamenten, die auf eine Krankheit schliessen lassen. Sie «scannt» die Umgebung nach Blutspuren, nach Erbrochenem und anderen Hinweisen, die Antworten geben können, was in den letzten Stunden und Minuten passiert ist.
Dem Berufsbild der Rechtsmedizin haftet oft ein etwas schaler Beigeschmack an. «Zu Unrecht», meint Rindlisbacher: «Wir können nicht, wie die klassische Medizin, Menschen behandeln und ihre Gesundheit verbessern. Trotzdem leisten wir als rechtsmedizinische Fachärzte wichtige und wertvolle Arbeit. Die Verstorbenen können sich nicht mehr wehren oder erklären. Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, was passiert ist, warum sie sterben mussten und ob diesen Menschen Unrecht geschah.»
Einsätze in Wohnungen, im steilen Gebirge und im Obduktionssaal
Als Mitglied des Kaders verbringt Antje Rindlisbacher heute mehr Zeit im Büro. Das war früher als Assistenzärztin anders. «Da war ich viel unterwegs. Man sollte gerne Autofahren und robust sein, denn es geht auch mal in unwegsames Gelände und auch in der Nacht, in der Kälte oder bei strömenden Regen müssen wir professionell funktionieren. Manchmal gibt es vor Ort auch längere Wartezeiten, zum Beispiel, wenn ein Basejumper aus dem Felsen oder ein Auto aus der Schlucht geborgen werden muss.» Wie geht Rindlisbacher mit emotional belastenden Situationen um? «Klar können Angehörige starke Emotionen zeigen und das geht uns auch nahe. Sie werden in der Regel von der Polizei oder von einem Careteam betreut. Diese Aufgabe können wir nicht übernehmen, weil wir uns auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren und sehr fokussiert arbeiten müssen.» Bei ihrer forensischen Arbeit muss auch die Kommunikation unter den Fachleuten funktionieren. «Wir tauschen Informationen aus, stellen Fragen, geben Antworten und sprechen uns mit der Staatsanwaltschaft ab, die über das Vorgehen entscheidet.» Ist die Arbeit vor Ort abgeschlossen, wird die Leiche vom Bestatter abgeholt. Wird von der Staatsanwaltschaft noch eine Obduktion angeordnet, wird der Leichnam nach Bern ins Rechtsmedizinische Institut gefahren und dort obduziert. «Das dauert in der Regel zwei bis drei Stunden, kann aber auch bis zu einem ganzen Tag gehen.»
Bei der Rechtsmedizin hats Klick gemacht
Hat sich ihre Karriere als Rechtsmedizinerin schon in jungen Jahren abgezeichnet? «Wenn Sie meine Mama fragen, ja», meint Rindlisbacher schmunzelnd. «Zwar habe ich schon immer gerne Krimis geschaut und gelesen, wollte aber nach der Matura Mathematik oder Physik studieren, weil ich schon damals ein Faible fürs Analytische hatte.» Letztendlich entschied sich Rindlisbacher für ein Medizinstudium. «Als kommunikative, lebensfrohe und unternehmenslustige Person kam ich zum Schluss, dass die Medizin eher meinem Naturell entspricht.» Während eines Praktikums in der Rechtsmedizin hat es dann Klick gemacht. «Mir war schnell klar, dass hier meine Berufung liegt.»
Jürg Morf
Antje Rindlisbacher (42) ist in Bern geboren und in Bolligen aufgewachsen. Heute lebt sie, frisch verheiratet mit ihrem indischen Ehemann, in Gümligen. In der Freizeit gönnt sie sich gerne ein feines Essen – und entspannt beim Krimischauen und -lesen.