Böötle, feiern, wegwerfen: Im Sommer wandern Dutzende Aare-Schlauchboote nach einer Tour achtlos in der Tonne. Für die Jungunternehmer von Reboern sind die Schrottboote hingegen Stoff für Taschenträume.
Hätten ihre Rucksäcke ein Eigenleben, würden sie heute wahrscheinlich sagen: «Schön, dich wiederzusehen, Aare!» Denn die robusten Taschen des Berner Labels Reboern haben schon eine Leben hinter sich: Einst trieben sie als quietschbunte Gummiboote die Aare herunter. Jetzt werfen sich die Geschwister und Jungunternehmer May und Ona Herbas die Teile lässig über die Schulter. Sie gründeten zusammen mit Wirtschaftsinformatik-Student Gustavo Acho Reboern. Der Name besteht aus dem Englischen «reborn» (wiedergeboren) und Bern.
Kritisch beäugt von Passanten
«Schon seit ich klein war, wollte ich mal Taschen herstellen», erzählt May von ihrem Traum. Aber Leder, Plastik und vegane Varianten überzeugten die Tierliebhaberin nie. 2018 machte sie sich mit ihrem Bruder Ona dann auf die Suche nach innovativen Materialien. Und fand sie unverhofft an einem heissen Sommertag. «Wir liefen umher und staunten über die zahllosen Gummiboote am Aareufer», erinnert sich Ona. Mays Recycling-Geist war sofort geweckt: «Daraus könnte man doch etwas machen.» So schleppten sie den vermeintlichen Taschen-Rohstoff nach Hause. Auch in den nächsten Wochen fanden sie kaputte und zurückgelassene Boote: in Container gestopft, unterm Mülleimer, am Ufer treibend. Auf die Suche gingen sie oft kurz vor Mitternacht und im Morgengrauen, kritisch beäugt von so manchem Passanten. Die Umweltschützer nahmen es mit Humor und bewiesen Durchhaltevermögen. Die schweren Boote sind oft verdreckt und zugemüllt. «Wir fanden alles darin: Bierdosen, Gras, Spritzen, Glasscherben und Erbrochenes», erinnert sich Ona. «Das war echt hart.» Gummiboote seien eben zu billig und die Wegwerfmentalität hoch, gerade nach einem Feiermarathon auf der Aare, finden die Geschwister.
30 Gummiboot-«Leichen»
2019 stapelten sich im heimischen Keller schon 30 Gummiboot-«Leichen» und 35 Schwimmhilfen: «Alles war voll, man konnte kaum noch reingehen», erinnert sich Ona lachend. Nachdem die drei Geschäftspartner nächtelang Gummiboote gereinigt und zerlegt hatten, erwiesen sich die Teile als widerstandsfähiger Stoff. Für Prototypen schaffte May erstmal eine Nähmaschine an, die Schnittmuster hängte sie in ihrem Büro auf. «Es war ein Chaos», lacht sie. Wenn das Start-up ein gutes Exemplar findet, lassen sich bis zu fünf Taschen aus einem Boot herstellen. Die Sitzfläche wird zum Rückenteil. «Das Material ist schwer handhabbar. Die Struktur ist dick und fragil zugleich. Die Nähte waren eine Herausforderung», so May. Anfangs steckten unzählige Arbeitsstunden in der Entwicklung. Wenn die Geschwister von der Arbeit nach Hause kamen, hängten sie noch eine Schicht dran. «Ich habe Logo und Karten designt und die Taschen für den Webshop fotografiert», sagt Ona. Dafür bastelte er sich aus Papier ein Fotostudio; Learning by Doing. Seit einem Jahr arbeitet Reboern auch mit Entsorgung + Recycling Stadt Bern zusammen, darf an der Auswasserungsstelle Marzili einen Container für Boote aufstellen. Für die Gründer ein spannendes Experiment, das super ankam. «Jeden zweiten Tag war der Container voll», erinnert sich May. Im Corona-Sommer sammelten sie kaum Boote, da sie erst das vorhandene Material verwenden wollten. Im Frühjahr 2020 launchten die drei Gründer Reboern offiziell, betreiben es im Nebenberuf. Viel werfe das Label noch nicht ab, jeder Franken wird gleich reinvestiert. Mit den Herbas ist das Label auch ein Familybusiness. «Es läuft gut», sagt Ona über die Arbeit mit seiner grossen Schwester. «Okay, manchmal gibt es auch Diskussionen. Ist doch normal», geben beide zu. Besonders der Name sorgte für Kopfzerbrechen. Heute sind sie stolz auf ihre Produktentwicklungen. Die Rucksäcke und Bauchtaschen werden nun in verschiedenen Berner Werkstätten von Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen hergestellt. Reboern verkauft die Taschen online und im Circle-Shop Bern. Jeder der bisher 40 hergestellten Rucksäcke ist ein handgemachtes Unikat und kostet 199 Franken. Für 120 Franken gibts die Bauchtaschen. «Unsere Kunden sind Menschen, die die Geschichte hinter unserem Produkt kennen und unterstützen wollen, dass aus vermeintlichem Abfall Neues und Individuelles entsteht. Swiss made von Menschen mit Behinderungen , die dafür einen fairen Lohn erhalten», sagt May. Lokales aus Bern boomt. Die Farben grün, grau, weiss kamen bei den Kunden gut an. Ona mag an den Rucksäcken aber nicht nur das Design: «Für mich riechen sie nach Sommer.»
Und nun die Flamingos
Gerade bereitet das Start-up das Weihnachtsgeschäft vor: «Nächste Woche kommt eine neue Lieferung», freut sich May. Denn die Rucksäcke sind derzeit ausverkauft. An neuen Produktideen fehlt es den drei Kreativköpfen ebenfalls nicht. Denn auch aus luftschwachen Flamingos und Einhörnern sollen Upcycling-Produkte werden. Das dünnere Material eignet sich für Necessaires. «Und vielleicht für Portemonnaies.» Aber Reboern habe auch seine Grenzen, geben die Geschwister zu. Der ökologische Gedanke geht bei ihnen vor Gewinnmaximierung. Letztlich ist man saison- und wetterabhängig. Und was macht Reboern, wenn der Sommer 2021 ganz verregnet wird? Die Geschwister lachen: «Es fährt immer einer Gummiboot.» Ein heisser Tag genügt und schon gibt es Materialnachschub.
Michèle Graf