Geboren und aufgewachsen ist Denise O’Gorman in der 8,5- Millionen-Einwohner-Metropole Lima. Doch das Herz hat die Schweiz-Peruanerin mit Emmentaler Wurzeln seit 30 Jahren an die Stadt Bern verloren.
Da die Schweiz keinen offiziellen Ort mit dem Titel «Hauptstadt» besitzt, wird von vielen Touristen Zürich als «Capital City» angesehen.
Sorry, liebe «Bärn fägt doch»-Bernerinnen und Berner, doch der musste sein, denn es ist halt so, dass Zürich von ausländischen Gästen eher als pulsierende und touristennahe Metropole wahrgenommen wird. Dafür hat Bern ein einzigartiges Stadtbild, welches die Geschichte der Schweiz widerspiegelt. Und Bern hat Denise O’Gorman.
Sie ist in einer wirklichen Grossstadt (sorry, liebe Zürcherinnen und Zürcher) geboren und aufgewachsen, in Lima, mit 8,5 Millionen Einwohnern eine der grössten Metropolen Südamerikas. Später studierte Denise in New York. Und irgendeinmal landete sie in der Stadt, die ihr Vater dereinst verliess, um in Peru beruflich Karriere zu machen und eine Familie zu gründen. Denise O’Gormans Mädchenname ist Blaser, ein Name made im Emmental. Emmental trifft auf Peru – welch ein Mix!
Emmental-Blut und Peru-Gen
Da ist einerseits: 6000 Jahre Menschheits- und Siedlungsgeschichte mit eiszeitlichen Jägern und Sammlern, den Kelten an der Emme sowie dem intensiven Burgen- und Kirchenbau des Mittelalters, um Verbindungswege zu sichern und zu kontrollieren, Macht auszuüben und Dynastien zu erhalten, zu bereichern und den besten Käse zu machen.
Und andererseits: Peru, eines der vielfältigsten Länder der Erde, mit seiner über 10 000 Jahre alten Geschichte mit einer einzigartigen multikulturellen und traditionelle Vielfalt, einer preisgekrönten Gastronomie, archäologischen Fundstätten sowie 12 von der UNESCO deklarierten Weltkulturerbestätten. Da passt doch die Denise aus dem UNESCO-Weltkulturgut-Land perfekt zur UNESCO-Weltkulturgut-Stadt. Seit fünf Jahren präsentiert die Frau mit den Grossstadt-Genen, dem Emmentaler-Blut und Latin-Charme sowie einem grossen Bern-Fan-Herz die einzige Bundesstadt der Schweiz (sälü Züri).
«Wo ist die Lesbenbar?»
Zu Denise O’Gormans Stadtführungen gehören selbstverständlich der Bärengraben und der Zytglogge, «doch noch lieber führe ich die Besucherinnen und Besucher zu unbekannteren Orten und Ecken», betont sie. So baut Denise O’Gorman die Totentanz-Fenster im Münster nach Niklaus Manuel, das Hammam im Oktagon an der Weihegasse und die Cinématte an der Aare im Mattequartier in ihre Stadtführungen ein.
Beschämt muss der über 50 Jahre in Bern lebende Verfasser dieser Zeilen feststellen, dass er Etliches nicht kannte in seiner Heimatstadt, bevor ihn die mit dem städtischen Finanzdirektor Michael Aebersold verheiratete Denise O’Gorman auf eine Stadtführung mitnahm. Etwa die Antoniterkirche mit den Fresken von Fritz Pauli an der Postgasse 62. «Im Untergeschoss befindet sich die Kapelle der russisch-orthodoxen Gemeinde», weiss Denise O’Gorman, die ihre Auskünfte nicht nur auf ihr Wissen als wandelndes kulturhistorisches Stadt-Bern-Lexikon beschränken kann. «‹Wo finde ich eine Lesbenbar?›, flüsterte mir eine distinguierte Besucherin aus Südamerika ins Ohr», erinnert sich die vielsprachige Stadtführerin an eine von vielen weltlichen Fragen. Ein Mann aus dem mittleren Osten wunderte sich über die vielen Kellerlokale. «Trinkt ihr alle Wein zum Frühstück?»
In den 30 Jahren, die sie in Bern lebt, hat Denise O’Gorman Gemeinsamkeiten zwischen Bernern und Peruanern entdeckt: «Beide Kulturen sind sehr vielseitig», erklärt sie und nennt im gleichen Atemzug den grössten Unterschied: «Wenn man in Lima rechtzeitig an einen Anlass ankommt, erschreckt man den Gastgeber», sagt Denise O’Gorman und macht sich auf zum Treffpunkt für die nächste Führung – pünktlich!
Matthias Mast