Staudacher Opt

Bei Andrea Staudacher ist defnitiv der Wurm drin

Was andere gruselt, macht sie neugierig: Designerin Andrea Staudacher sucht in ihrer Arbeit die Zukunft des Essens. Ob Qualle, Grille oder Erbsenprotein – sie plädiert für eine offenere Kultur und Refexion.

Sie fordert sich und andere gerne heraus. Wenn Designerin Andrea Staudacher auftischt, gibt es Heuschrecken, Quallen oder Hühnerfüsse. Was in anderen Ländern schon lange auf dem Speiseplan steht, ist für Schweizer Zungen ein Akt der Überwindung. «Uns fehlen beim Insektenessen in Europa Traditionen. Ich versuche, da Kontexte herzustellen», sagt Staudacher.
So bietet sie unter dem Label Future Food Lab Caterings Inszenierungen mit simuliertem Laborfleisch, Insektenkochkurse oder Besuche im Schlachthof an und regt die Teilnehmenden an, sich zu fragen, wie sie nach dem Erlebnis zu diesen Lebensmitteln stehen. «Man kann sich im Kopf vieles vorstellen – wenn man aber tatsächlich damit konfrontiert ist, macht das etwas mit einem.» Zu ihren Kunden gehören der Schweizer Bauernverband das Swiss Economic Forum, Kochschulverbände, aber auch Privatpersonen. Für viele ist es eine Mutprobe, in Grille und Co. zu beissen.

Wieso der Trend abgeflacht ist
Geschmacklich überzeugt Staudacher mit ihren Gerichten fast jeden. Ihr geht es aber nicht nur um den Effekt, sie will erforschen, wie die Menschheit in Zukunft ernährt werden kann, insbesondere mit Eiweiss. Sie schrieb das erste Insektenkochbuch der Schweiz, tritt im TV auf, gestaltet Ausstellungen. Von der Presse wurde sie oft als Food-Designerin bezeichnet, Staudacher sieht sich eher als Ereignisdesignerin. «Lebensmittel müssen nicht designt werden. Das rohe Produkt ist ja von Natur aus wunderschön.» Seit 2017 dürfen in der Schweiz bestimmte essbare Insekten verkauft werden, was einen kleinen Trend auslöste. Inzwischen ist dieser abgeflacht. Staudacher schätzt: «Die Produkte des Detailhandels sind zu teuer und nicht fein. Der Verbraucher kommt nicht direkt an die Quellen, kann nur Tiefgekühltes kaufen. Dann greifen viele lieber zum Veggie-Produkt, zum Beispiel aus Erbsenprotein.» Diese hätten sich in den letzten drei Jahren im Geschmack und in der Konsistenz stark entwickelt.
Sowieso taugen die Insekten-Lebensmittel nicht als Fleischersatz, sie müssen vielmehr als alternative Proteinquelle begriffen werden. Staudacher sieht ein grosses Potenzial. «Insekten sind vielleicht nichts für Herrn und Frau Schweizer, aber eine Chance für den Tierfutterbereich.» Die Designerin nennt aus Insekten extrahiertes Eiweiss oder die Schwarze Drachenfliege als Nahrungszusatz. Die kleine Libellenart könnte man auf industriellen Abfallprodukten züchten. Es entsteht eine Kreislaufwirtschaft.
Andrea Staudacher findet Insekten nicht eklig. «Sie sind durch ihre schillernden Farben, Oberflächenstrukturen und ihre Symmetrie sehr ästhetisch», sagt sie mit dem Blick als Designerin. Ihr Haus zieren zahlreiche Käferfiguren und Zeichnungen. Auch Töchterchen Luz kennt das spezielle Essen schon: als ihre Mutter gefriergetrocknete Mehlwürmer aus dem Kühlschrank holt, will sie gleich naschen. Staudacher lebt, was sie propagiert. In ihrem Garten hält sie auch Hühner, die sie selbst schlachtet. Auch wenn sie frische Heuschrecken in Öl angebraten und mit Chili gewürzt «super fein» findet, zieht sie gutes Bio-Fleisch vor. Oder sie macht sich einen Salat aus kleingeschnittenen Quallenschirmen. Warum nicht das essen, was in den Meeren sowieso eine Plage ist? «Die sind wie Tagliatelle, haben keinen grossen Eigengeschmack. Sehr bissfest und proteinreich.» Obwohl sie importiert werden müssten, hätten die Quallen dennoch eine bessere Ökobilanz als Rindfeisch. In diesem Punkt wird Staudacher das einzige Mal moralisch. «Wir diskutieren über Flüge, Autofahren und Mülltrennung. Aber über den Fleischkonsum als riesigen Faktor in der CO2-Bilanz reden wir kaum. Würden wir alle weniger Fleisch essen, wäre das für das Klima viel besser.»

Arbeit im Krematorium
So stellt Staudacher gesellschaftlich relevante Themen, die mit Tabus belegt sind, in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Seit 2019 beschäftigt sie sich unter dem Titel «Future Death Lab» auch mit der Zukunft des Sterbens. «Es interessierte mich schon immer, wie wir mit dem Tod umgehen. Die Pandemie hat dieses Thema wieder in den öffentlichen Diskurs gebracht.» Für ihr Projekt arbeitet sie auch im Krematorium, doch das Future Food beschäftigt sie weiterhin.
Gerade hat sie ihr zweites Buch mit neuen Zukunftsrezepten veröffentlicht. Kommt also bald noch mehr Ernährungsinnovation auf uns zu? Staudacher schüttelt den Kopf. «Die grossen Innovationen sind bereits da. Aber der Geschmack der Produkte wird sich noch verbessern.» Na dann: e Guete und auf eine schmackhafte Zukunft!

Michèle Graf

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