©chmedia Ah6 Folge 5 (2)

Bettwanzen haben sie fast wieder vertrieben

Das Auswanderer-Paar Mike und Jana hat zu Beginn eins auf die Nüsse gekriegt – und das Beste daraus gemacht. Nun leben die beiden in Paraguay ihren grossen Traum.
Es brauchte gerade mal eine einzige Reise in die «Schweiz Südamerikas», um Mike und Jana zu verzaubern. «Wir wussten sofort: Wenn man ein Leben fernab des geliebten Bern beginnen kann, dann hier», schwärmt Jana. Seit drei Jahren lebt das Paar – mit kurzen Unterbrüchen – in Paraguay. Unterdessen hat es eine dreijährige Tochter und bewirtschaftet gemeinsam eine zehn Hektar grosse Macademia-Nuss-Plantage – das entspricht zwanzig Fussballfeldern. Apropos Fussball: «Seit wir weg sind, wird YB regelmässig Meister», bemerkt Mike wehmütig. Der ehemalige Maler und die gelernte Detailhandelsangestellte führten in Bern ein sogenanntes «normales Leben». Sie gingen täglich ihren Berufen nach, pflegten ihre Hobbys und einen grossen Freundeskreis. Doch der Alltag nagte. «Manchmal war es mehr ein «Sich-Durchschlagen», erinnert sich Jana. Sie eröffnete ein eigenes Detailhandelsgeschäft, merkte aber bald, dass sie das auf die Dauer nicht glücklich machte. Die gemeinsame Reise 2016 nach Paraguay war ein Schlüsselerlebnis. «Wir sahen plötzlich einen Weg, unsere Träume bereits in jungen Jahren zu verwirklichen», erzählt Mike.

Der Weg in die Freiheit
Ihre gemeinsamen Träume beinhalteten einiges: mehr Wärme und Sonne, ein selbstbestimmtes Leben, die Nähe zur Natur, grössere Freiheiten, zusammen ohne Bankschulden ein Haus bauen. In Paraguay fanden sie den passenden Rahmen dafür – wirtschaftlich und einwanderungspolitisch. Mike: «Finanziell kommt man hier in Paraguay einfach über die Runden.». Aus einer anfänglich naiven Idee wurde Wirklichkeit. Aber nicht aller Anfang war einfach: «Als wir in Asunción ankamen, standen wir während der ersten Woche unter Schock und dachten an eine sofortige Rückkehr in die Schweiz», erinnert sich Mike. Kein Wunder: Die alte Heimat mit hohem Lebensstandard stand mit der neuen im krassen Kontrast: Die fremde Mentalität, das ungewohnte Strassenbild der Hauptstadt und viele weitere kleine Faktoren, wie beispielsweise Bettwanzen, machten Jana und Mike das Ankommen nicht leicht. Aber kaum verliessen die frisch Eingewanderten die Stadt, entdeckten sie die wunderschöne Landschaft, trafen auf wunderbare Menschen. «Da keimte die Liebe zu unserer neuen Wahlheimat auf», schwärmt Jana. Das Paar kaufte sich ein Stück Land mit absolutem Baurecht und erstellte darauf ein Haus – frei nach ihren Wünschen. Die Familie versorgt sich zu einem grossen Teil selbst. Früchte gibt es im Überfluss. Ähnlich wie in der Schweiz gelangt man sehr schnell von einem Ort nach überall, auch ans Meer. Mike: «Wir haben uns sehr rasch in dieses spezielle Land verliebt.» Die Bevölkerung lebt in Wohlstand, Modernes und Traditionelles harmonieren. «In unserem Fall übertrifft die Realität alles, was wir uns vorgestellt hatten», preist Jana ihren Entscheid, auszuwandern, und fügt an: «Uns gefällt das Leben in diesem ‹geordneten Chaos› – die weitgehende Selbstbestimmung, die Natur und die Nähe zu ihr sind unbezahlbar. Trotzdem schliessen wir eine Rückkehr nach Bern nicht a priori aus.»

 

Die Früchte der Natur
Zurück zu den Nüssen. Dass die beiden ausgerechnet eine Macadamiabaum-Plantage bewirtschaften, verdanken sie dem Zufall. «Wir haben das Angebot im Internet entdeckt. Zuerst waren wir skeptisch. Doch dann schlugen wir zu, denn eine Plantage verspricht ein langfristig interessantes Geschäft», erzählt Mike. Seither sind die beiden Pächter einer Macadamia-Nuss-Kultur. Zur Erntezeit beschäftigen sie bis zu sechs Helferinnen und Helfer. «Es gibt viel Arbeit, wir erledigen alles von Hand», erklärt Jana. Letztes Jahr durften sie ihre erste grosse Ernte einholen. Die reifen Nüsse fallen vom Baum und müssen eingesammelt werden. Die Weiterverarbeitung erledigen sie nicht selber, dafür braucht es Maschinen. Dann kam 2020 und mit ihm das verflixte Virus. Aufgrund von Corona mussten die Menschen in Paraguay in Quarantäne bleiben. Auch Mike und Jana. Die Nüsse fielen naturgemäss vom Baum. Und blieben liegen. Bedroht der Ernteausfall nun ihre Existenz? «Nein, zum Glück haben wir noch andere Einkommensquellen», sagt Jana gelassen und ergänzt: «Während um uns herum die Angst vor dem Virus grassierte, hat die ausserordentliche Lage bei uns keine gravierenden Schäden angerichtet.» Jana und Mike sind Optimisten: «Geht ein Türchen zu, öffnet sich ein anderes», sinniert Jana. Auch wenn sie hin und wieder die Sehnsucht packt; nach der Stadt, der Aare, der Bärnerschoggi, den Young Boys. Und nicht zuletzt vermissen sie ihre Familie und Freunde, die sie zurückgelassen haben. Aber vorerst bleiben sie ihrem neuen Paradies treu – planen aber trotzdem eine Reise zu ihren Liebsten.

Regina Münstermann

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