Oliver Grützner ist Leiter Tourismus & Freizeit beim TCS und Vizepräsident des Verbandes Schweizerischer Campings (VSC). Er kennt alle Facetten des neuen Megatrends.
Ferien im Wohnwagen, Zelt oder Wohnmobil gewinnen seit Jahren an Beliebtheit und Corona verlieh dieser Entwicklung einen markanten Schub. Campen umschliesst heute eine Vielfalt an Möglichkeiten. Der Bärnerbär verschafft im Interview mit Oliver Grützner eine Übersicht.
Was fasziniert Sie als Touristiker am Camping?
Wir erleben beim Camping eine dynamische Veränderung zu immer mehr Auswahl und Qualität. Er ist Folge eines globalen Metatrends zu Mobilität, Freiheit und Natur. Beim TCS haben wir das früh erkannt und bauten Camping seit 2014 zum zentralen Teil unseres Freizeitangebots laufend aus.
Was ist die Ursache für die Wiederentdeckung des Campings?
Unser Alltag ist von der Digitalisierung geprägt. Campen bildet den Gegenentwurf: Das Einfache neu entdecken, wieder Natur spüren, mit nackten Füssen im Gras laufen. Schweizer sind gleichzeitig auch Individualisten, Camping kommt uns entgegen. Beim Campen richtet man sich ein, wie man will, und alle sind per Du. Das ist anders als in Hotels mit Speisesaal, fixen Essenszeiten und Derartiges mehr. Ein weiterer Aspekt ist die Sehnsucht nach Mobilität, man kann sprichwörtlich «seine Zelte abbrechen» und weiterziehen. Das zeigt sich auch daran, dass manche statt einer Ferienwohnung ein Reisemobil kaufen. Das Reisen, der Weg, wird zum Ferienziel.
Welche Rolle spielte Corona konkret?
Covid war ein Superbeschleuniger. Weil gewohnte Ferienreisen ins Ausland durch Regeln und Grenzschliessungen verunmöglicht wurden sowie viele Hotels schlossen. Camping ist die Alternative: Keine Enge wie in Hotels, man hat als Paar oder Familie einen eigenen Raum – im Durchschnitt ein 80 Quadratmeter grosses eigenes Territorium ohne Maskenpflicht und wahrt Abstand zu anderen. Camping wurde zur letzten Meile Freiheit.
Welche Arten von Camping gibt es überhaupt?
Nach wie vor das klassische Zelten, dann die Wohnmobile, Wohnwagen, sodann «Vanlife», die Camper und die komfortabelste Form, Glamping.
Können Sie die Arten Zielgruppen zuordnen?
Für junge Familien mit Kindern eignen sich Ferien im Zelt oder das Glamping sehr, Kinder lieben Camping. Sie sind dabei sowohl geschützt als auch frei, knüpfen Kontakte mit anderen Kindern, erleben Natur, die Regentropfen auf dem Zeltdach; das sind prägende Erinnerungen. Wers komfortabler will, mietet eine Unterkunft. Camper oder Vans, der VWBus oder umgebaute Transporter ziehen jüngere Erwachsene an, die ein Minimum an Ausrüstung aber ein grosses Mass an Mobilität wollen. Eher reifere Leute, gerade nach der Pensionierung, leisten sich ein Wohnmobil, das sind halbe Häuser, und entdecken damit ungebunden und komfortabel monatelang Länder und Kontinente. Reisemobile eigenen sich ab einer gewissen Grösse auch für Familien, für Kinder darf es beim Reisen nicht zu lange zu eng sein.
Sie sprachen von «Glamping».
Eine Wortkombination aus «Glamourous Camping». Sie hat ihren Ursprung bei den Briten in vorigen Jahrhunderten: Sie bauten im freien Feld Unterkünfte in Form grosser komfortabler Safarizelte auf, möbliert und mit einem Flair von Luxus. Glamping lebt das nach. Man mietet Lodges, «Cabins», hat darin alles, Betten, Küche, Toilette/Dusche, muss nichts aufbauen. Ein Zelthaus im Freien mit 15 bis 35 Quadratmetern Fläche plus einer Terrasse.
Wie steht es um Zelte?
Das Hauszelt hat, wie gesagt, gerade für junge Familien seine Vorteile. Sogenannte Wurfzelte für ein paar Franken sind eher für Festivals geeignet, auf Dauer keine Lösung.
Wo bleiben die Singles?
Camping ist eher eine Gemeinschaftsform, die «einsamen Wölfe» sind eine Minderheit. Allerdings eine wachsende, Stichwort Homeoffice. Ausgerüstet mit Laptop und Strom können Büroarbeiten eigentlich überall stattfinden. So entstanden in den letzten Jahren die Arbeitsnomaden. Unterwegs in einem Camper sind sie überall zuhause, finden Ruhe zum Arbeiten, können mit der ganzen Welt kommunizieren und geniessen als Traveller viel Abwechslung.
Woran erkennt man die Qualität eines Campingplatzes?
Campings sind kleine Destinationen. Die Qualität erkennt man bei der Einfahrt, am Empfang. Wie gepflegt und betreut ist er? Gute Campingplätze sind durchmischt, gut unterhalten und verfügen über eine praktische Infrastruktur: Sanitäranlagen, Spielplätze, ein Restaurant, einen Shop. Werden etwa Sportgeräte oder gar E-Bikes vermietet, allenfalls Touren und Ausflüge angeboten? Die Komfortabstufungen reichen von 1 bis zu 5 Sternen. Entscheidend ist auch die Lage: Ist der Zeltplatz in einem Industriegebiet oder am See?
Das wilde Campen ist eine Illusion, oder?
Es ist in der dichtbesiedelten Schweiz nicht einfach, aber möglich. Man muss dafür sicher die Touristenströme verlassen. Auf unserer Website tcs.ch geben wir (Suchwort «Wildes Campieren») ausführliche Informationen. Viel Raum für freies Campen gibt es aber in Ländern wie Schweden, Norwegen, Finnland, Albanien oder Schottland.
Welche Ausrüstung sollte man beim wilden Campieren dabeihaben?
Taschenlampe, Ersatzwäsche und wärmere Kleider, falls das Wetter wechselt. Aber auch einen Ghüdersack. Ich appelliere an alle: Habt Respekt vor der Natur, nehmt Rücksicht auf andere, hinterlässt den Platz so, wie ihr ihn vorgefunden habt.
Verraten Sie zum Schluss unseren Lesern Campingplatz-Geheimtipps?
Es gibt in der Schweiz 400 Campingplätze, die allermeisten sind sehr gut geführt. Persönlich gefallen mir auf Anhieb das «Derfli» Hasliberg, sodann Thun/Gwatt und Aaregg am Brienzersee.
Lahor Jakrlin