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Das Reich der Marroni liegt direkt neben der Aare

Winterzeit ist Marroni-Zeit: Renzo Strazzini (49) importiert die Nussfrüchte und beliefert damit Stände, Restaurants und Hotels in der ganzen Schweiz. Je nach Region herrschen unterschiedliche Vorlieben.

Es ist kalt, die Hände sind klamm und dann bekommt man ein kleine Tüte mit warmen Marroni gereicht und denkt: «Der Winter ist doch irgendwie schön.» Manchen gelten Marroni regelrecht als Seelenwärmer. Die Saison beginnt im September und endet kurz nach der Fasnachtszeit.
Doch woher kommen die stärkehaltigen Nussfrüchte überhaupt? Renzo Strazzini weiss es, denn er ist der Inhaber der Firma Gysi & Strazzini AG, dem grössten Marroni-Importeur der Schweiz. Der 49-jährige in Bern lebende Tessiner beliefert Marroni-Stände, Hotels, Restaurants und Marktfahrer mit bis zu 900 Tonnen Marroni pro Jahr. «Für dieses Jahr habe ich noch keine Zahlen. Klar, Corona hat uns zugesetzt.» Er präsentiert in seinem Lager am Langmauerweg seine Maschine. Hier werden die in Säcken gelieferten Marroni eingefüllt, geputzt und mit einem Schlitz versehen.
Es gibt verschiedene Sorten. Der grösste Teil von Strazzinis Marroni kommt aus Italien, einige sind aus Portugal. «Die besten Marroni stammen aus der Toskana», verrät Strazzini. «Sie schmecken am meisten nach Marroni, sind süss und haben eine cremige Konsistenz.» Im Lager ist es kühl, denn Marroni dürfen keinen grossen Temperaturschwankungen ausgesetzt sein. Strazzinis Kunden, die einen Marronistand führen, bekommen manchmal zu hören, die Ware sei teuer. «Viele Konsumenten kennen den Weg und die Arbeit, die hinter einer Tüte Marroni stecken, nicht.»

Stand unter Denkmalschutz
Strazzini ist ins Geschäft hineingewachsen. Die Liebe zu den Marroni reicht in seiner Familie bis ins 19. Jahr hundert zurück. «Wir besitzen einen Marroni-Stand seit 1837», erklärt er.
Heute steht der Stand, der in Solothurn immer noch betrieben wird, unter Denkmalschutz. Es war Strazzinis Vater Eros Strazzini, der sich gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Eduard Gysi anfangs der Siebzigerjahre dazu entschied, auf Import zu setzen. Strazzini, der eine Lehre als Hochbauchzeichner abgeschlossen hat, spricht vom «Prinzip der Tradition» und wünscht sich, dass die Firma weitere hundert Jahre bestehen wird.
Die Sterne stehen gut: Sein elfjähriger Sohn interessiert sich bereits fürs Geschäft. Strazzini führt ein Team von zehn Leuten, darunter Verkäufer, Chauffeure und Agenten. Letztere sind in Italien und beraten ihn, welche Ware zu welchen Preisen er kaufen soll. «Man muss zur Familie gehören wollen, wenn man hier arbeitet.» Seit geraumer Zeit arbeitet die Firma mit Leuten aus Caserta, einer Region in Kampanien, zusammen.

Dunkel oder hell gebraten?
Marroni isst Strazzini fast jeden Tag. Verleidet ist ihm das bis jetzt noch nicht. «Privat geniesse ich sie gerne mit Rohschinken und Speck und einer guten Flasche Rotwein.» Seine Frau Eva Strazzini verkauft Marroni am Familienstand in Solothurn. «Ich selbst wäre ein schlechter MarroniVerkäufer», gibt er zu. «Kundinnen und Kunden, die eine Zehnernote, die nicht nigelnagelneu ist, nicht akzeptieren – ich weiss nicht, ob ich da Geduld hätte.» Umso wohler ist dem Vater von drei Kindern – einer Tochter aus einer früheren Beziehung und zwei Kindern mit seiner Frau – in der Rolle des Managers. «Man muss anpacken können, wenn man für uns arbeitet», erklärt er mit dem Hinweis, dass ein Sack voller Marroni dreissig Kilos wiegt.
Was die Marroni-Stände ausserhalb der Kastanien anbieten dürfen, ist reglementiert. «Viele verkaufen auch Clementinen und Datteln, damit der Stand ein bisschen was hermacht.»
Wie gut gebraten die Marroni sein sollen, ist Ansichtssache. «In der Deutschschweiz wird sofort reklamiert, wenn die Marroni ein bisschen dunkler daherkommen», so Strazzini. «Die Romands und Tessiner mögen ihre Marroni hingegen gut gebraten.» Nur verkohlt, das wolle natürlich niemand. «Es gibt eine Tendenz, in der Romandie auch an warmen Wintertagen Marroni zu essen, während in der Deutschschweiz vor allem an kalten Tagen konsumiert wird», so Strazzini über einen weiteren regionalen Unterschied im Konsumverhalten. Er selbst ist froh, dass die Saison irgendwann endet. «Den Sommer verbringe ich gerne im Tessin und renoviere alte Häuser.»

Helen Lagger

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