Sie klärt Prostituierte über die Gefahren und Risiken ihrer Arbeit auf. Luciana Sutters Job auf dem Polizeiinspektorat ist nichts für schwache Nerven.
Man könnte jetzt sagen, Luciana Sutter habe einen etwas ungewöhnlichen Job. Die Mitarbeiterin des Polizeiinspektorats, Bereich Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei (EMF), klärt ausländische Sexarbeitende auf, informiert sie über Risiken ihrer Branche und hört ihnen zu. Vor allem das. Nur, die Sache mit dem ungewöhnlichen Job ist die: Was sollen denn erst die Frauen sagen, die zu ihr kommen?
Scham, Angst, Respekt
«Von der eben erst 18 Jahre alt gewordenen jungen Frau bis zur 60-jährigen Dame habe ich schon alles gesehen», sagt Sutter. «Eine Mehrheit ist aber Anfang 20.» Die Personen müssen im Rahmen des Meldeverfahrens bei der Dienstelle EMF zum Gespräch erscheinen. Dieses Vorgehen wird im Rahmen der rechtlichen Normen bei allen selbstständig arbeitenden Personen durchgeführt. Dies zum Zweck der Informationsvermittlung über Rechte und Pflichten. Wer auftaucht, spricht häufig zunächst gar nicht. Aus Unsicherheit, weil sie der Sprache nicht mächtig sind oder aus Respekt vor dem Amtsgebäude, das auch die Fremdenpolizei beherbergt. Und aus Scham, weil sie denken, dass sie sowieso und zuallererst als Prostituierte erkennbar seien. Abgestempelt, abqualifiziert, anders. Sutter versucht, den Frauen von Anfang an Empathie zu signalisieren. Dafür braucht es einiges an Gespür, obwohl die 29-Jährige keine speziell psychologische Ausbildung in diese Richtung absolviert hat. «Wenn sie mich sehen, meine Begrüssung in ihrer Muttersprache, dann ist das erste Eis schon gebrochen.» Sutter spricht neben Deutsch fliessend Spanisch, Portugiesisch, Italienisch genauso wie Französisch und Englisch.
Emotionen, aber kein Trost
Das Interview, wie das Gespräch offiziell genannt wird, dauert dann ungefähr eine Stunde. «Sie erzählen von zuhause, ihrer Arbeit oder den Kunden. Manchmal wird es emotional, auch für mich, dann muss ich mich selber zusammenreissen, wenn sie von persönlichen Schicksalsschlägen erzählen.» Dennoch: So ergreifend die Szenen sein mögen, die sich in Sutters Büro immer mal wieder abspielen – allzu viele Gefühle will sie nicht aufkommen lassen. «Persönlich bin ich der Meinung, dass ich keinen Trost schenken muss, das gehört nicht zu meinem Jobprofil. Trotzdem dürfen Emotionen ihren Platz haben, gerade wenn sie weinen, gebe ich ihnen Raum zum Reden.» Ab und zu wird Sutter gefragt, was sie denn eigentlich von den Dienstleistungen im horizontalen Gewerbe halte. «Ich probiere, ehrlich zu sein und sage, dass dies halt einfach ein Beruf sei, ich das selbst jedoch wohl nie tun könnte. Und ich gebe ihnen zu verstehen, dass ich keine Vorurteile habe und sie für mich Menschen sind genau wie alle anderen.»
«Es gibt ihnen Sicherheit»
Praktisch allen Sexarbeitenden – auch Männer sind mit dabei – gemeinsam ist die Tatsache, dass sie sich aus einer Notlage für diese, ihre Lösung entschieden haben und das Gewerbe nicht freiwillig ausüben. «Ich hatte mal eine Frau aus Venezuela. Sie erzählte, dass da, wo sie herkommt, fast gar keine Medikamente mehr zur Verfügung stehen würden», erzählt Sutter nachdenklich. «Geld allein hätte ihr kaum etwas genützt. Sie verschickte die entsprechenden Mittel dann mit Paketen von Spanien aus in die Heimat.» Die Interviews kommen bei den Prostituierten, nach anfänglicher Zurückhaltung, mehrheitlich gut an. «Ich erhielt schon viele positive Rückmeldungen, obwohl sie sich zunächst fragten, wieso wir das überhaupt tun», erklärt Luciana Sutter. «Doch es gibt ihnen Sicherheit. Wir sagen ihnen, wo sie sich melden können, wenn sie Hilfe brauchen.» So schreibt die EMF-Angestellte beispielsweise jeder Frau, die die Nummer der Polizei nicht auswendig kennt, diese auf die Infobroschüre. Solche handlichen Flyer werden in verschiedenen Sprachen mit den Adressen von entsprechenden Beratungsstellen abgegeben.
Ein Stück normales Leben
Sutter macht ihre Arbeit gerne. Und sei es nur deswegen, weil sie ihren Klientinnen verraten kann, wo es sich in Bern besonders schön spazieren lässt und ihnen damit ein Stück normales Leben zeigt. Sie mag vielleicht keinen Trost spenden. Aber sie ermuntert dort, wo es eigentlich nur wenig zu ermuntern gibt.
Yves Schott