Als Geschäftsführerin des Krematoriums in Bern hilft Silvana Pletscher, würdige Abschiede und Bestattungen zu gestalten. Obwohl ihr Team und sie vom Tod umgeben sind, gibt es in ihrem Job auch oft fröhliche Momente.
Ob verstreut auf einem Berggipfel, über einem See oder am liebsten Ferienort. Gepresst zu einem Diamanten oder im heimischen Wohnzimmer in der Urne. Es gibt inzwischen wohl kaum noch einen Wunsch eines Verstorbenen für seine letzte Ruhe, den Silvana Pletscher, Geschäftsführerin des Krematoriums in Bern, noch nicht gehört hätte. Dank der Aschefreiheit in der Schweiz, die es erlaubt, die sterblichen Überreste auch ausserhalb eines Friedhofs beizusetzen, ist ein solch individueller Umgang möglich. «Diese Wahlfreiheit ist wertvoll», unterstreicht sie.
Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten ist Pletscher dankbar, wenn die Präferenzen des Verstorbenen vorher geklärt waren. Konkrete Gedanken zur eigenen Endlichkeit werden in der mitteleuropäischen Gesellschaft meist verdrängt. «Wir neigen dazu, alles Unangenehme aufzuschieben oder abzugeben», sagt Pletscher über einen der Gründe. Für sie ein neuzeitliches Phänomen. «Früher lebten die Generationen enger zusammen. Auch das Sterben fand in der Familie statt.» Sie erinnert zum Beispiel an grosse Bauernhäuser, in denen man auch aufbahrte. Durch ein kleines Seelenfenster konnte die Seele gen Himmel aufsteigen. «Aber dass dies heute in einer Viereinhalbzimmer-Wohnung mit Zentralheizung nicht mehr gut möglich ist, ist auch klar», muss Pletscher mit einem Lächeln zugeben.
Das Wichtigste ist zuzuhören
Sie wünscht sich dennoch eine gesellschaftliche Veränderung hin zu einem natürlicheren Umgang mit dem Ableben. «Der Tod gehört dazu. Ich wünsche den Leuten den Mut, das Sterben wieder ins Leben zurückzuholen.»
Und der erste Schritt kann eben sein, sich Gedanken über die eigene Bestattungsart zu machen. «Es ist gut, über die eigenen Wünsche zu sprechen.» In Zeiten ohne Pandemie führt Pletscher oft Gruppen durch das Krematorium, denen sie diese Anregung mitgibt. Gerne zeigt sie die schlichten Aufbahrungs – räume, die Öfen, die historische Urnenwand mit Steinplatten oder die postmodern anmutenden Terrassen mit Urnennischen.
Zu Anfang ihres Berufslebens hatte Pletscher nie daran gedacht, mal Geschäftsführerin eines Krematoriums zu werden. «Das Leben hält manchmal solche Sachen bereit.» So wechselte sie 2013 aus einer Pflegeinstitution hierher und ist bis heute glücklich darüber. «Meine Arbeit ist sehr vielschichtig und spannend. Vor allem habe ich viel mit Menschen zu tun.» Neben der Administration und Buchhaltung sorgt Pletscher für Austausch zwischen Bestattern, Mitarbeitenden, Ämtern und Angehörigen. «Das Wichtigste: einfach da sein und gut zuhören können», beschreibt sie eine Kernkompetenz. Bewusst hat sie in ihrem Büro bunte Farbtupfer und Bilder platziert, die als Gesprächsöffner fungieren. «Wir haben oft gute Begegnungen.»
Begleitung bis vor den Ofen
Ob kleine Feier, grosse Blumenkränze, Fotos oder Kerzen: In der Gestaltung des Abschieds sind die Hinterbliebenen im Krematorium frei. Oft wird der Sarg für drei Tage offen aufgebahrt, so dass jeder den Toten individuell ein letztes Mal besuchen kann. «Ich erinnere mich an einen verstorbenen Künstler. Viele seiner Werke zierten den Aufbahrungsraum», so Pletscher. Wer möchte, darf den Sarg auch bis vor den Ofen begleiten – ganz nach Wunsch. Die konfessionsneutrale Kapelle des Krematoriums bietet Raum für ebenso individuelle Abdankungen. Die Geschäftsführerin erinnert sich gar an Gedenkfeiern, an denen viel gelacht wurde und man sich in Anekdoten dankbar erinnerte. «Humor hat immer Platz bei uns. Das hilft vielen Angehörigen auch.» Wenn Pletscher beobachten kann, dass Menschen das Krematorium mit der Urne mit einem besseren Gefühl verlassen, weiss sie, dass ihr Team seinen Job verlässlich und gut gemacht hat.
Für sich selbst hat die Krematoriumsleiterin die letzten Fragen schon durchdacht. Nichts sei fataler, als zu denken, der eigene Tod sei noch weit weg. Seit Pletscher sich als junge Mutter mit dem Sterben und dem Tod anfreunden musste, spüre sie eine Befreiung und Wertschätzung für das Leben. «Bei mir fand ein Umkehrschluss statt. In guten Augenblicken weiss ich: Wir haben diesen Moment jetzt und den nimmt uns niemand. Das ist einfach gut.» Zum Abschied gibt sie noch ihren wichtigsten Gedanken mit: «Wir dürfen geboren werden und dürfen auch wieder sterben. Und all das, was dazwischen ist, müssen wir gut nutzen. Wie lang dieses Leben auch immer sein darf.»
Michèle Graf