Petra Eichenberger arbeitet als professionelles Medium. Sie erzählt, wie sie Verstorbene erlebt und welche unseriösen Aussagen für sie tabu sind.
Hier, in diesem unscheinbaren Gebäude an einer Hauptverkehrsachse, direkt neben einer Industriezone? Hier nimmt diese Frau also Kontakt mit Verstorbenen auf? Tatsächlich. Immerhin, drinnen sieht es schon ganz anders aus: wohliger, gemütlicher. Treffpunkt Bernapark, Deisswil. Das Tor zur Parallelwelt.
Petra Eichenberger sitzt in ihrem Sessel, vis-à-vis steht ein Sofa, wo ihre Klientinnen und Klienten Platz nehmen. Schmucke Einrichtung, die Wände versprühen einen beruhigenden Beige-Ton. Ja, das Zimmer könnte gerade so gut auch eine Praxis für Psychotherapie sein.
Doch Eichenberger, 45 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, arbeitet als professionelles Medium. Konkret: Sie stellt Jenseitskontakte her. Mit ihren Hellsinnen, kann sie die Toten spüren und erleben. «Ich sehe sie nicht als echte Menschen vor mir. Die Szenen sind eher vergleichbar mit einem Buch, das man liest und gleichzeitig die Bilder dazu vor sich sieht.»
Bloss: Wie kommt jemand darauf, Medium zu werden? Eine Berufsgattung, die bei Erwähnung meist sofortiges Stirnrunzeln hervorruft und an irgendwelche Kartenleser mit Tarotkarten auf seichten TVKanälen erinnert, die naiven Leuten ihr Geld aus der Tasche ziehen? Die gebürtige Zürcherin erklärt, sie habe bereits als kleines Kind Verstorbene wahrgenommen. «Wenn ich in meinem Bett lag, schauten sie zum Türspalt herein. Ich versteckte mich dann vor lauter Angst immer unter der Bettdecke.» Mit grusligen Fratzen à la «Tanz der Teufel» hätten die Gestalten indes kaum etwas zu tun, versichert Eichenberger.
Der Verstorbene wird umarmt
Als sie älter wird, beschliesst sie, die Erscheinungen zu ignorieren. Was ziemlich gut funktioniert. Bis zu diesem Unfall im zarten Alter von 19 Jahren. In der Bellevue-Apotheke in Zürich zieht sie sich ein Schädeltrauma zu. Die Ärzte sagen ihr, sie müsse nun wohl ihr Leben lang mit Übelkeit und Schmerzen leben. «Die Mediziner waren ratlos. Also habe ich andere Therapien ausprobiert und kam so mit einer Welt in Kontakt, die mir mehr gezeigt hat als das, was wir normalerweise sehen.» Die Schmerzen verschwinden, die Begabung bleibt. Vier bis fünf übersinnliche Erfahrungen habe sie seither erlebt. «Ich stand dem Thema Tod immer sehr offen gegenüber.» Heute beschäftigt sich Eichenberger tagtäglich damit.
Sie absolvierte eine sechsjährige Ausbildung «Medialität & Sensitivität als Beruf» und bietet neben den Jenseitskontakten auch sensitive Wahrnehmung an – eine Standortbestimmung, die Themen beinhaltet, die eine Person im Leben gerade beschäftigen.
«Ich biete keine Beratungen zum Minutentarif an», lacht Eichenberger. «Im Ernst: Ich nehme mir Zeit für jene Menschen, die mich aufsuchen. Und ich würde mir nie anmassen, Dinge zu sagen wie: ‹An deiner Stelle würde ich…› Das steht mir nicht zu.» Auch Zukunftsprognosen sind für die Frau mit dem Draht zur Anderswelt tabu.
Eichenbergers Jenseitskontakte dauern je rund eineinhalb Stunden. Der Name des Verschiedenen reicht aus, um sie oder ihn zu rufen und sich zu verbinden. «Es ist noch nie jemand nicht gekommen.» Zunächst spricht der Tote mit ihr und erzählt aus seinem Leben. Nach zirka einer Stunde kann der oder die Verstorbene dann vom Angehörigen begrüsst und – im übertragenen Sinne – umarmt werden. «Solch intimen Situationen dienen dazu, der Person Dinge mit zuteilen, die man, zum Beispiel am Sterbebett, gerne noch gesagt hätte – aber einfach keine Gelegenheit mehr dazu hatte.»
Der Selbsttest
Eichenberger ist es wichtig zu betonen, dass Menschen, die sich von dieser Welt verabschieden, nie einfach weg sind. «Sie sind einfach körperlich erloschen. Ihre Seele aber lebt weiter.» Damit unterstützt sie Angehörige in deren Trauerphase und ermuntert sie gleichzeitig, das körperliche Ende nicht als endgültiges Adieu zu betrachten.
Selbstverständlich soll Petra Eichenberger zeigen, was sie draufhat. Wir machen eine kurze Kostprobe. Es geht um einen guten Freund, der 2013 bei einem tragischen Autounfall in Mexiko ums Leben gekommen ist. Nennen wir ihn Alexander. Kann sie ihn tatsächlich in diesen Raum locken, wenn man dem denn so sagt? Eichenberger schliesst die Augen. Nach etwa einer Minute beginnt sie zu sprechen. Alexander und ich hätten viele interessante, philosophische Gespräche am Strand in Italien geführt. Das ist absolut richtig. Der Fakt mit dem Strand beeindruckt, das konnte sie nicht wissen. Andererseits: Wer würde abstreiten, mit einem guten Freund hin und wieder über Gott und die Welt diskutiert zu haben?
Petra Eichenberger versichert mir, Alexander gespürt und wahrgenommen zu haben. Ja, dass er tatsächlich direkt bei und mit uns war. Ob es stimmt? Speziell gefühlt habe ich ehrlich gesagt nichts, handfeste Beweise wird es sowieso nie geben. Andererseits habe ich seit langem mal wieder an Alexander gedacht, an die schönen, lustigen, traurigen, berauschenden Momente. Und ich habe mir fest vorgenommen, ihn in Zukunft etwas häufiger in meinen gedanklichen Alltag zu integrieren.
Wenn das der Sinn und Zweck des Jenseitskontaktes war, hat er ihn, zumindest für mich, in diesem Moment definitiv erfüllt.
Yves Schott