Sie machen vielleicht gerade die schwierigste Zeit ihres Lebens durch. Doch dank des Ronald McDonald Hauses beim Inselspital schöpfen Betroffene neuen Mut. Ein Bericht über den Ort, an dem Leben und Tod so nahe beieinander liegen.
Sie hat zweifellos bange Momente hinter sich. Erst ein paar Tage alt ist der Sohn von Claudia Mäder – doch schon kurz nach der Geburt musste Lenn auf die Neonatologie des Inselspitals gebracht werden. «Aus irgendeinem Grund fiel sein Blutzucker auf sehr tiefe Werte ab», sagt die Frau, die am 10. Dezember zum ersten Mal Mutter geworden ist, mit gefasster Stimme. Gerne hätte sie diese schwierige Zeit an der Seite ihres Neugeborenen verbracht. «Doch nach einem Kaiserschnitt darf man nur fünf Tage bleiben. Das war schlimm für mich.» Doch Mäder hat Glück: Sie findet im Ronald McDonald Haus am Jennerweg vis-à-vis der Insel ein neues, temporäres Zuhause. Dort können Eltern ihren kranken Kindern nahe sein, selbst wenn sie etwas weiter weg wohnen. «Das war eine riesige Erleichterung. Ich wusste, dass ich nur über die Strasse laufen muss, um mein Kind zu sehen. Ich könnte sogar nachts zu ihm, wenn ich möchte.»
Plötzlich Psychologin
Betreut wird die 39-Jährige unter anderen von Maja Brun. Die gelernte medizinische Masseurin ist im Haus, das 2001 eröffnet wurde und eine Auslastung von über 90 Prozent vorweist, eigentlich zuständig für die Buchhaltung. «Trotzdem vergeht kein Tag, an dem ich sieben Stunden lang am Computer sitze. Ich gehe Leute im Spital abholen, manchmal spiele ich Hauswart. Es ist also kein gewöhnlicher Bürojob, das gefällt mir sehr.» Ihr Alltag – der ganz normale Wahnsinn. Dass sie ab und an in die Rolle der Psychologin schlüpft, macht Brun nichts aus. «Das ergibt sich teilweise von alleine. Vielleicht steht man gemeinsam in der Küche und redet dann fast automatisch und ungezwungen über die Situation. Ich setze mich aber nicht zu jemandem hin und sage: ‹So, erzähl mal!›» Sowieso seien viele Bewohner froh, wenn mal jemand keinen weissen Kittel trage.
«Das hat mir Eindruck gemacht»
Mitleid mit den Eltern im eigentlichen Sinne hat die 29-jährige stellvertretende Leiterin des Ronald McDonald Hauses zwar nicht. «Ich sehe sie als gesunde Menschen. Klar ist das alles schlimm für sie, doch ich probiere sie aus diesem Schicksal herauszulocken, damit es hier nicht genau gleich trist weitergeht wie im Spital.» Doch freilich gehen die persönlichen Schicksale und Tragödien nicht spurlos an Brun vorbei. So wie etwa das herzzerreissende Ereignis vom vergangenen Sommer. Damals brachte die Rega ein zweieinhalbjähriges Mädchen ins Inselspital, das in der Badi fast ertrunken war. «Die Ärzte haben verzweifelt versucht, es wiederzubeleben. Es lag dann ein paar Tage im Koma, bevor es schliesslich starb.» In diesem Moment, erklärt Brun nachdenklich, sei ihr bewusst geworden, welch riesiges Glück es sei, ein gesundes Kind zu haben. «Dass in einer Minute das ganze Leben ändern kann, hat mir wahnsinnig Eindruck gemacht.» Die Eltern des noch so jungen Opfers hat sie nie getroffen.
«Ich habe fast mitgeweint»
Sich vom teilweise harten Alltag mental abzukapseln und die Dinge aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten, davon hält die junge Frau mit den kurz geschnittenen Haaren deshalb nicht viel. «Man darf ruhig eine weiche Schale haben. Ich habe einmal fast mit jemandem mitgeweint, weil diese Person mir eine sehr berührende Geschichte erzählt hat.» Nur so würden ihre Gäste merken, dass auch sie, Brun und ihr Team, nur Menschen sind. «Und ich will mich sowieso nicht verstellen.»
Hoffnung für Silvester
Für diese Aufmerksamkeit und Authentizität sind ihr Menschen wie Claudia Mäder äusserst dankbar. Die frischgebackene Mutter, die ihr Baby zu früh und per Kaiserschnitt zur Welt brachte, möchte eigentlich ihren Mann auf dem gemeinsamen Bauernhof in Worb beim Verkaufen der Tannenbäume unterstützen – wenn es denn möglich wäre. Doch es gibt Hoffnung: «Der Zustand ist stabil, die behandelnden Ärzte wollen meinen Sohn bald von der Neonatologie ins Kinderspital verlegen.» Irgendwann, vielleicht sogar noch vor Silvester, kann sie mit Lenn dann nach Hause. Um gemeinsam mit der Familie anzustossen – auf das neue Jahr, vor allem aber auch auf das Leben. Ein Glück, das nicht allen Bewohnern des Ronald McDonald Hauses vergönnt ist.
Yves Schott
Die Ronald McDonald Kinderstiftung betreibt die Ronald McDonald Häuser seit 1994. 2001 wurde eines in Bern eröffnet. Seither bietet es Familien von schwer kranken oder verunfallten Kindern in unmittelbarer Nähe des Berner Inselspitals ein Zuhause auf Zeit. Das Haus in Bern verfügt über 14 Schlafzimmer für ein bis vier Personen, jeden Monat wohnen dort im Schnitt 22 Familien.
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