2019 feiert der Club 111 sein 30-Jahr-Jubiläum. Renate Wünsch ist seit 1991 mit von der Partie, Philippe Nauer begann zwei Jahre später in den Stücken des Berner Theaterkollektivs zu spielen. Nun sind beide involviert bei «Remake 68», eine Anschauung zur 68er-Bewegung und was daraus geworden ist.
Ein bunter Schnurvorhang in den Farben eines Regenbogens kündigt im Bühneneingang des Schlachthaus Theater Bern die Zeit Ende der sechziger Jahre an. Drinnen lassen rote, grüne und silberne Medizinbälle, die um gelbe Sitzpolster verteilt sind, eine Art Spielwiese vermuten. Man wähnt sich für einen Moment in einer Kinderkrippe. Ein Bett in der Senkrechten und eine weitere Schlafgelegenheit weisen jedoch mehr auf eine Kommune hin, wie sie es in der Zeit der 1968er-Bewegung zuhauf gegeben hat. Renate Wünsch und Philippe Nauer haben unterschiedlich mit dem verspielten Interieur zu tun, auch wenn sie vielleicht beide schon praktisch zur «Ausstattung» des Club 111 gehören. 1989 wurde die Truppe von Meret Matter, Grazia Pergoletti und Ruth Schwegler mit dem Ziel gegründet, Theater für Freunde zu machen. Renate, die etwas später zum Team stiess, erinnert sich: «Wir waren unerschrocken und wollten das Unmögliche möglich machen.» Anfangs trat Wünsch noch als Statistin auf der Bühne in Erscheinung. In bester Erinnerung sind ihr die Auftritte mit dem ersten Grosserfolg «Spaceboard Galuga»: «Das war eine herrliche Persiflage auf die Serie ‹Raumschiff Enterprise›. Für die Kostüme war ich erstmals im Stück ‹Hobbycop› verantwortlich.»
Reitschule als Lebensschule
Renate Wünsch, eine waschechte Bernerin, machte ihre Lehre zur Dekogestalterin beim Modehaus Weilemann. Es folgte ein erstes Engagement bei Holiday on Ice in der Schweiz. Der Wunsch, gestalterisch freier zu sein, war schon früh sehr gross. «Mit dem Club 111 und dem Tojo Theater, das ich mitaufgebaut habe, wurde ich ins kalte Wasser geschubst», erinnert sich die Kostümbildnerin und ergänzt: «Das Domizil Reitschule war meine Lebensschule.» Heute, ein Vierteljahrhundert später, schöpft Renate Wünsch immer noch gerne aus dem Vollen, wenn sie für eine neue Produktion künstlerisch kreativ ist. Mit Jahrgang 1964 kennt sie die 68er-Revolution, mit der das freie Denken, eine freiere Sexualität und nicht zuletzt die Gleichberechtigung endlich aufs Tapet kamen, nur vom Hörensagen. «In den Sechzigern sind viele wichtige Themen weiterentwickelt worden», beschreibt sie das Vergangene, «als Kostüm- und Bühnenverantwortliche bin ich natürlich auch dankbar für die verrückten Outfits und Frisuren von damals.»
«Witz kommt nicht zu kurz»
Im Gegensatz zu Renate, die gerne im Hintergrund wirkt, ist Philippe Nauer der Mann an der Front. Der gebürtige Zürcher und Wahlberner, der zuletzt in Martin Guggisbergs Kinokomödie «Usgrächnet Gähwilers» als bürgerlicher Politiker zu sehen war, stand alleine für den Club 111 schon an die 15 Mal auf der Bühne. Die Theatercracks sind auch bekannt für unverklemmten Trash und bissige Satire. Eine Tatsache, die in der freien Theaterszene auch Mal mit «zuviel Angepasstheit» ettiketiert wurde. Tempi passati. Nauer, ein Jung-67er was den Jahrgang angeht, winkt ab, wenn er sagt: «Das aktuelle Stück ist weit politischer als trashig, der Witz darin kommt aber nicht zu kurz.» Zum Inhalt von «Remake 68», das im vielsagenden Untertitel «Ideen und ihre Leichen» einiges vorwegnimmt, sagt Philippe: «Für Konfliktpotenzial ist gesorgt. Drei ehemalige Hippies kommen anlässlich einer Beerdigung nach 25 Jahren zusammen und jeder von ihnen präsentiert einen anderen Lebensentwurf, was auch Konsternationen und Diskussionen evoziert. Wir spielen ausserdem mit Flashbacks, die wir Erinnerungsblasen nennen, sowie mit der Konfrontation der drei Alt-68er und einer Generation von heute. Unser Remake handelt vom vermeintlichen Verrat von Idealen, aber ebenso von Visionen für eine neues Morgen.»
Angst versus Hoffnung
Was die Zukunft auf unserem Planeten anbelangt, ist Philippe Nauer eher pessimistisch gestimmt: «Unser Klima ist in Gefahr und die Weltbevölkerung wächst rasant weiter. Diese Realität, verbunden mit der Globalisierung, schafft diffuse Ängste, die von Populisten ausgenutzt werden.» Renate Wünsch setzt indes auf das Prinzip Hoffnung, sie ist überzeugt: «Es entstehen neue Bewegungen und auch die weltweite Vernetzung bringt schliesslich viel Wissen unter die Menschen, das man wiederum positiv nutzen kann. Ich glaube daran, dass eine Kehrtwende möglich ist und sich die Vernunft, unsere Erde nicht sinnlos zu verbrauchen, durchsetzen kann.» Auch im Stück «Remake 68» des Club 111 ist es am Ende eine neue Sicht, die das Weitergehen in einer verrückten Welt möglich machen soll. Für Renate Wünsch und Philippe Nauer sind indes neue Theaterprojekte gesetzt. «Ich freue mich auf den zweiten Teil von Timmermahns ‹Dr Blöffer› in der Heiteren Fahne diesen Mai», schaut Renate voraus und verrät gleichzeitig: «Das gleiche Team ist wieder mit an Bord und es wird eine lustige Zeit.» Philippe erläutert seine Theaterpläne wie folgt: «Ich bin im nächsten Projekt von Matto Kämpf engagiert, und das hat am 22.März Premiere im Schlachthaus. Im September eröffnen wir in einer Co-Produktion von unserer Gruppe KNPV mit AYA Danstheater Amsterdam die Saison 2018/19 von der Dampfzentrale in Bern.» Bevor «Remake 68» auf Tournee geht, etwa in die Rote Fabrik nach Zürich und in die Tuchlaube in Aarau, heisst es bis zum 10. Februar im Schlachthaus: Der Hippie ist zurück! Und mit ihm eine Zeit, die höchst engagiert und im gleichen Mass visionär war.
Peter Wäch