Auf gute Nachbarschaft: Simone Stirnimann und ihr Team von Nachbarschaft Bern vermitteln Freiwillige an Unterstützungssuchende. Neben der tatkräftigen Hilfe geht es oft auch darum, dem Nächsten etwas Zeit zu schenken.
It‘s a match! Ein klein wenig geht es im Job von Simone Stirnimann zu wie bei einer Partnervermittlung. Denn die Mitarbeiterin von Nachbarschaft Bern bringt Menschen zusammen, die sich sonst vielleicht nicht begegnet wären. Jedoch geht es hier nicht um Liebesbeziehung, sondern vielmehr um nachbarschaftliche Solidarität. Alle, die pro Woche zwischen einer und drei Stunden freiwillig andere unterstützen möchten oder selbst Bedarf haben, können sich bei dem Angebot melden. «Über die Stadt Bern verteilt haben wir etwa 250 Freiwillige. Die meisten leisten einen Einsatz pro Woche», sagt Stirnimann. Das Prinzip ist einfach: Meldet sich jemand, der Unterstützung möchte, sucht Nachbarschaft Bern in der Nähe einen Freiwilligen aus ihrem Pool. Denn geholfen werden soll möglichst in der eigenen Nachbarschaft. «Im Umkreis von höchstens 15 Minuten Fussweg, das erhöht die Chance, dass das Engagement langfristig bestehen bleibt.»
Angebot ist bewusst gratis
In ihren sechs Jahren als Projektleiterin hat Stirnimann so einige tolle Tandems von Nachbarinnen und Nachbarn vermitteln können. Ein Miteinander der Generationen entsteht, denn oft melden sich jüngere Menschen als Freiwillige und Ältere suchen nach einer Person, die beim Einkaufen hilft, sie auf Spaziergänge begleitet oder einfach etwas Gesellschaft leistet. Besonders hoch im Kurs steht bei den Älteren auch der PC-Support. «Hier nach Unterstützung zu fragen, ist nicht mit Scham behaftet und oft der Einstieg», weiss Stirnimann. Manchmal tritt die Informatik dann in den Hintergrund und der persönliche Austausch wird wichtiger. «Das ist eine tolle Entwicklung.» Der Benefit der Freiwilligen ist dabei nicht mit Geld aufzuwiegen. Oft fragen die Seniorinnen und Senioren, was die Hilfe koste. «Aber unser Angebot ist bewusst gratis. Ich sage dann, dass sie anderes von Wert zu bieten haben, wie beispielsweise Anekdoten aus dem Quartier und Lebensweisheiten. Es gibt Zeiten im Leben, in denen man gibt und in anderen darf man nehmen», erzählt Stirnimann. Eine Konkurrenz zu anderen Angeboten, auch teilweise bezahlten, will das Nachbarschaftshilfe-Projekt nicht sein. Es geht darum, Lücken zu schliessen, neben Alltagstrubel und Berufsleben in kleinem Masse engagiert sein zu können und die Menschen im Quartier besser zu vernetzen. «Eine kleine Alltagsunterstützung in der Nachbarschaft für die ganze Berner Bevölkerung», sagt Stirnimann zur Grundidee. Gerade in der Altstadt sei die Vermittlung von Nachbarschaft Bern wichtig. «Durch die Lauben und wegen vieler Passanten sieht man seine Nachbarn oft nicht.» Das Leben in der Stadt ist anonymer, die Verwandtschaft wohnt weit entfernt, es gibt häufige Wohnungswechsel. «So kann die Hemmschwelle, jemanden im eigenen Haus anzusprechen, hoch sein. Dann ist es für die Menschen manchmal leichter, sich bei uns zu melden», sagt die Projektleiterin. Das durch die Stadt finanzierte Angebot ist in ihren Augen eine clevere Investition: «Die Unterstützung trägt dazu bei, dass Menschen länger in ihrem Zuhause bleiben oder dass sie sich integrieren können.» Denn oft fragen auch Menschen mit Migrationshintergrund oder geringem Haushaltseinkommen für Kinderbetreuung in Randzeiten, Nachhilfeunterricht für Schüler oder Deutschlektionen für Erwachsene an. Häufig sind hier die Älteren die Freiwilligen.
Aus Teams werden Freunde
Im Corona-Lockdown stieg die Bekanntheit von Nachbarschaft Bern schlagartig. Stirnimanns Team erlebte einen richtigen Ansturm: «Die Leute hatten plötzlich Zeit und wollten sich engagieren.» Am Ende gab es fast mehr Freiwillige als Suchende. Seit einigen Monaten pendelt sich die Arbeit wieder auf normalem Niveau ein, Freiwillige werden gesucht. Täglich hat Stirnimann zwei bis drei Anfragen für Unterstützung. Neben der Vermittlung kümmert sie sich auch um die Tandems, fragt regelmässig nach, wie es läuft. In ihrem Job hört sie viel auf ihr Bauchgefühl. Denn Anfragen können auch kurios sein: Einmal meldete sich eine junge Frau, die gerne einen Boxsack in ihrer Wohnung aufhängen wollte – Werkzeug und handwerkliche Kenntnisse? Nicht vorhanden. Schnell war ein Freiwilliger mit geliehener Bohrmaschine gefunden. «Am Ende wurde aus der Montage dann nichts, weil sie Angst hatten, eine Leitung zu treffen, aber das Tandem war trotzdem glücklich», erinnert sich Stirnimann lachend. Nicht selten ist aus einem Tandem eine echte Freundschaft entstanden. So erzählt Stirnimann von einer älteren Dame, die sehr besorgt war, als ihr Freiwilliger in seine Heimat reisen musste. Ob da alles gut ginge? «Ich erfuhr dann, dass er gleich nach seiner Rückkehr nur die Koffer deponierte und sofort zu ihr ging, um zu sagen, dass er sicher gelandet war. Das sind Momente, in denen ich spüre, dass ich die richtigen Leute zusammengebracht habe.»
Michèle Graf