Die Spysi, welche sich versteckt in einer kleinen Verbindungsgasse zwischen Junkern- und Gerechtigkeitsgasse befindet, ist aus der Stadt Bern nicht mehr wegzudenken. Präsident ist seit 28 Jahren Peter Oehrli. Sein Kapital ist das Personal.
Es ist 13.30 Uhr und wir warten vor dem Haupteingang der Speiseanstalt der Untern Altstadt Bern, kurz «Spysi» genannt. «Läuten Sie, wenn Sie da sind», lässt uns Spysi-Präsident Peter Oehrli vorgängig wissen. «Um diese Zeit ist die Essensabgabe vorbei», fügt er erklärend hinzu. Essen gibts von 11.30 bis 13 Uhr. Nach dem Klingeln werden wir eingelassen, gehen vorbei am Kassenschalter, wo die Mittagsgäste das Menü (mit oder ohne Fleisch) bestellen und bezahlen und wo das Covid-Zertifikat kontrolliert wird, steigen die Treppe hoch in den ersten Stock, wo bei der Türe zum grossen Speisesaal ein Emailschild mit der Aufschrift «Eingang zur Speiseabgabe» auf bevorstehende kulinarische Genüsse hinweist. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten? «Nein, keineswegs», entrüstet sich Peter Oehrli, welcher uns lachend empfängt. «Wir bewegen uns mit der Spysi zwischen Tradition und Daseinsberechtigung», ergänzt er, während er uns zum Tisch führt. An den langen Tischen im hellen Speisesaal treffen wir auf einige Fasnächtler von der Zunft Zur füfte Jahreszyt in ihren farbigen Kostümen. Sie haben an diesem Donnerstag, den 11.11. um 11.11 Uhr, den Fasnachtsbären im Käfigturm zum Auftakt der Berner Fasnacht in den Winterschlaf geschickt und geniessen nun in der Spysi eine warme Mahlzeit – für elf Franken.
Ein Batzen fürs Säuli
Wir setzen uns an einen Tisch beim Fenster, mit Blick auf die Junkerngasse. An einem anderen Tisch kommt das Servicepersonal – pardon: die Saaldamen – zu seinem verdienten Mittagessen nach getaner Arbeit. Ja, die ehrenamtlich arbeitenden Saaldamen: Ohne sie läuft gar nichts. «Sie sind unser Kapital, sie geben der Spysi das Gesicht!», lobt Peter Oehrli seine Serviererinnen, die der Spysi teils jahrzehntelang die Treue halten. «Die älteste Saaldame hat Jahrgang 1932, die jüngste, eine Studentin, ist 23-jährig», präzisiert er. «In der Spysi arbeiten fünf Männer und 35 Frauen. Mit 87,5 Prozent Frauenanteil liegen wir weit über dem schweizerischen Durchschnitt», lacht Peter Oehrli. Die Saaldamen organisieren ihre Einsätze selber. An jedem Wochentag arbeitet eine andere Fünfergruppe, heute leistet die Donnerstagsgruppe ihren Einsatz. Das funktioniere prima, auch die Nachfolge regelten die Frauen jeweils selber, «sie müssen mich bloss orientieren», fügt er hinzu. Die Spysi beschäftigt bloss zwei Festangestellte: den Küchenchef, der seit sechs Jahren den Kochlöffel schwingt, und eine Küchenangestellte, seit 14 Jahren im Einsatz für die Spysi. Die Statuten des Gründungsjahres 1877 halten unter anderem fest, «…der hilfsbedürftigen Bevölkerung während der Winterszeit gesunde Nahrung zu vorteilhaftem Preis anzubieten». Wie sieht es heute aus? «Gewiss, heute haben wir weniger Gäste, die hilfsbedürftig sind. Aber dennoch, es gibt immer noch Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen und dankbar für eine günstige, nahrhafte Mahlzeit sind. Daher hat die Spysi nach wie vor ihre Daseinsberechtigung. Aber klar, auch Lernende, Studierende, Bauarbeiter, Verwaltungsangestellte, Politikerinnen und Politiker bevölkern unseren Speisesaal. Der frühere Stadtpräsident Alexander Tschäppät ass regelmässig bei uns und tauschte sich mit den Gästen aus, aber auch der amtierende Stapi, Alec von Graffenried, ist hie und da unser Gast», weiss Peter Oehrli zu erzählen. Für Gäste, die eigentlich nicht auf eine günstige Mahlzeit angewiesen sind, steht an der Theke ein Sparschwein bereit zwecks Obolus für die Saaldamen. Es komme indes durchaus vor, dass Mäzene mit einem grösseren Geldbetrag aufs Postkonto der Spysi helfen, die angespannte Finanzlage zu verbessern.
Neu auch Take-away
Finanziert wird die Spysi hauptsächlich durch die Vereinigten Altstadtleiste sowie den Schosshalde-, Ostring-, Murifeld-Leist. Vor jeder Eröffnung in die Wintersaison bezahlen die insgesamt sechs Leiste je tausend Franken «Startgeld». Aber auch Spenden und Legate bilden weitere Finanzquellen. Die Spysi ist Mieterin in der städtischen Liegenschaft an der Junkerngasse 30, worin sich unter anderem zwei Mietwohnungen befinden. Sie arbeitet aufgrund eines Leistungsauftrages mit der Stadt Bern und erhält gewisse Vorleistungen, wie Präsident Oehrli präzisiert. Etwas Sorge bereiten dem SpysiVorstand die Besucherzahlen seit der Wiedereröffnung anfangs November. «Zurzeit servieren wir in den 1½ Stunden Mittagspause bloss 30 bis 35 Menüs, gegen 70 könntens sein!», bedauert Peter Oehrli. «Durch die coronabedingte Schliessungszeit während der letzten Saison sind wir wohl bei den Leuten etwas in Vergessenheit geraten, und auch Homeoffice drückt auf die Gästezahl», ist der Präsident überzeugt. Um dieses Manko aufzufangen, bietet die Spysi in der laufenden Saison neu einen Take-away-Service an. Die Speisen (es sind die gleichen wie im Speisesaal) können bei einer separaten Türe gleich neben Haupteingang bezogen werden. «Dadurch kommen auch Menschen ohne Covid-Zertifikat mühelos zu einer warmen Mahlzeit», wirbt Peter Oehrli für diese neue Dienstleistung. Übrigens: Am nächsten Donnerstag, 18. November, stehen beispielsweise Tagessuppe, Hackbraten an Pfeffersauce, Gemüse und Kartoffelgratin auf dem Menüplan (Änderungen vorbehalten). Herzlich willkommen und «ä Guete»!
Peter Widmer