Die Matte, ihre kreativen Bewohner und deren Sprachen

Die Titelseite des vorliegenden Bärnerbär ist auf Matteänglisch erschienen. Die Geheimsprache wird weltweit noch von 20 Menschen gesprochen. Wir trafen uns mit einem von ihnen auf der Suche nach des Rätsels Lösung.

Durch ihre schlechte Anbindung an die Stadt Bern entwickelte sich in der Matte im Mittelalter eine Art Dorfgemeinschaft. Sie war geprägt durch den Zauber des dahinziehenden Aarewassers, aber auch durch den Handel, der mangels eines leistungsfähigen Strassennetzes vorzugsweise auf dem Wasser stattfand. Die Mattebewohner lebten trotz Stadtnähe daher recht abgeschieden. Und doch hatten sie Kontakt zu allerlei fremden Menschen, die auf der Aare Handel trieben. So entwickelte sich unter den Mattebewohnern nicht nur eine eigene Identität, sondern auch eine eigene Sprache: der urbane Mattedialekt. Von diesem Dialekt stammt Matteänglisch, eine systematisch aufgebaute Geheimsprache, ab. Es gibt in Bern einen Matteänglisch-Club, im Rahmen dessen sich 250 Mitglieder zu Ausflügen, Stammtischrunden und Mitgliederversammlungen treffen. Sie vereint das Interesse, den Kulturschatz Matteänglisch zu bewahren. Wir sind mit dem Club-Präsidenten Peter Hafen die Gerberngasse zwischen Mühleplatz und Nydeggtreppe abgelaufen. Oder wie Hafen sagt: «Dür d Gärbere tschepft.»

Matteänglisch Eine Sprache für Händeler gegen Gesetzeshüter

Mattebewohner werden im historischen Kontext oft falsch verstanden. Ruch seien sie gewesen, unflätig, sich gesetzeswidrig gegen den Stadtadel auflehnend. Matteänglisch sei eine Sprache zur kriminellen Verständigung. «Das ist Humbuk», sagt Hafen. «Die Matte war einst eine florierende Hafenstadt mit Verbindungen bis nach Holland.» Industrielle siedelten auf dem Inseli, gleich neben Tych und Mühleplatz, an: Die Kleiderfabrik Schild, das Möbelhaus Jörns aber auch die Schokoladenfabrik Lindt. «Matteänglisch hat seinen Ursprung im Handel mit Reisenden, die im belebten Aarehafen anlegten und Waren anboten. Die Geheimsprache half bei der Verständigung zwischen den Einheimischen, um sich einen Vorteil im Feilschen zu verschaffen.» Und den einen oder anderen Schmuggel an den Zollhäusern der Untertorbrücke habe es auch ermöglicht, oder um gegenüber der Polizeigewalt Oberhand zu behalten, fügt Hafen mit einem Augenzwinkern hinzu.

Hafen und Tschirren – Ein Fundus an historischem Wissen

Peter Hafens Familie stammt aus der Matte, seine Vorfahren waren «Händeler» wie er selbst. «Zu gerne hätte ich in meiner beruflichen Vergangenheit immer wieder mal eine Sprache wie ‹Matteänglisch› zur Hand gehabt, um mich schnell und für die Gegenpartei unverständlich mit meinen Kollegen am Verhandlungstisch abzusprechen», erinnert er sich. Hafen ist einer von ungefähr 20 verbleibenden Menschen, die Matteänglisch verstehen und sprechen können. «Wir sterben aus», sagt er. Und fügt den einen Vorteil an, der sich aus dieser Vereinsamung seiner Sprachkunst ergibt: «Wenn ich in der Öffentlichkeit einmal frisch von der Leber weg fluchen will, dann mache ich das halt auf Matteänglisch. Es versteht mich ja kaum noch jemand.» Zusammen mit Co-Autor Hans Markus Tschirren hat Hafen das Buch «Matteänglisch – Die Matte und ihre Sprachen» verfasst. Daraus entnimmt der Leser Teile des schier unerschöpflichen historischen Wissens, das Hafen und Tschirren über die Matte angesammelt haben. Auf Stadtführungen gibt Hafen sein Wissen an Interessierte weiter und ist damit auch ein bisschen Lokalmatador. Während unserem Gespräch wird er denn auch von zwei «Ureinwohnern» der Matte erkannt. Längst sind sie weggezogen, ins Zürcherland, doch ihre Klassenzusammenkunft planen sie nun in der Matte.

Die Matte – Wohnsitz der Kreativen und Alternativen

«Eigensinnig sind die Mattebewohner schon und auch etwas direkter als die Stadtberner», beschreibt Hafen sein Volk. «Man sagt die Dinge halt so wie sie sind.» Verändert habe sie sich schon immer, die Matte. Die Industrialisierung habe der Handelsstadt Matte einst schwer zugesetzt. In der Gegenwart sei es die Gentrifizierung. «Wenn ich heute an eine Versammlung des Matte-Leists gehe, tauchen da Menschen auf, die ich zuvor nie gesehen habe.» Dennoch erkennt er auch heute noch eine Einzigartigkeit in der Matte: «Kreativität – es wohnen viele Künstler hier, die auch im digitalen Zeitalter einen alternativen Lebensstil pflegen.» Nicht von ungefähr wirken nun an der Stelle, wo einst Tuch und Kleider gefertigt wurden, Kreativagenturen wie die Contexta und die Republica. Und so leben die Mätteler halt damals wie heute ein Leben, das etwas abgeschieden von Bern abläuft. «In die Stadt gehe ich auf jeden Fall nur, um einzukaufen.» Denn eine Migros, so Hafen, das gebe es in der Matte sicher nie. Sein Wort in Gottes Ohr. Jürg Federer mit Auszügen aus dem Buch «Matteänglisch – Die Matte und ihre Sprachen».

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