Die Diagnose einer psychischen Erkrankung stellte Dorota Solarska vor die Herausforderung ihres Lebens, die sie heute mithilfe der Kunst kreativ angeht. Ein Besuch in der Kunstwerkstatt der Berner
Psychiatrieklinik Waldau.
«Die Bilder sind alle schon in mir drin, sie wollen nur raus auf die Leinwand.» So beschreibt Künstlerin Dorota Solarska ihre Inspiration. Von der Muse geküsst ist sie fast immer, malt bis zu drei Bilder pro Tag. Inzwischen ist ihr Oeuvre auf 1600 Exemplare angewachsen. Die Frauenporträts sind bunt, expressiv, mit starkem Blick zum Betrachter gewandt. «Ich verwende gerne Goldfarbe. Je nach Stimmung werden die Bilder eher melancholisch oder kraftvoll.»
Ihre Kunst solle für sich selbst sprechen, leicht zugänglich, nicht bedeutungsschwanger sein, findet Solarska. Die Autodidaktin kopiert keinen Stil, probiert viel aus. In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung dient ein Raum als Atelier, doch noch lieber malt sie in der Kunstwerkstatt Waldau, die auf dem Gelände der Universitären Psychiatrischen Dienste UPD liegt. Hier fühlt sich die Künstlerin mit der bunten Brille wohl und angenommen.
Kein Medikament wirkt perfekt
Solarska, die in Polen geboren wurde, entdeckte die Kunst erst so richtig in ihrer Therapie. «Ich habe eine schizo-affektive Störung. Das ist eine Mischung aus einer bipolaren Störung und Schizophrenie.» Dadurch erlebt sie extreme Stimmungsschwankungen und Täuschungen. Der Tag der Diagnose vor neun Jahren war für Solarska ein Schock. «Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wusste, dass mein Leben von jetzt an nie wieder so sein würde wie vorher. Ich war Psychologin, stellen Sie sich vor: Die Psychologin ist verrückt geworden. Eine Katastrophe.» Ein normales Arbeitsleben ist aufgrund der Krankheit seitdem nicht mehr möglich. Depressive und manische Phasen wechseln sich ab. «Alle sechs Wochen bricht meine Stabilität zusammen. Jedes Jahr bin ich in einer Klinik.»
Heute hat Solarska hat ein Gespür dafür entwickelt, wann sie professionelle Hilfe braucht. «Viele mit meiner Krankheit haben Suizidgedanken oder nicht mehr die Kraft, morgens aufzustehen.» Über 20 Medikamente hat sie mithilfe der Ärzte ausprobiert – keines helfe so richtig gut. «Im Moment nehme ich täglich vier verschiedene Präparate. Sie mildern die Symptome.» Sie fürchtet sich weniger vor den erdrückenden dunklen Momenten als vor manischen Phasen. «Dann geht es mir so gut und ich habe schnell das Gefühl, jetzt brauche ich meine Medikamente nicht mehr.» Sie hat akzeptiert, dass die Krankheit sie für immer begleiten wird. «Ich bin hoffnungsfrei, aber nicht hoffnungslos», sagt sie zum Thema Gesundheit.
Die Offenheit, mit der Solarska über ihren Alltag mit der Krankheit reden kann, ist entwaffnend und gewährt einen Einblick, der Verständnis und Akzeptanz für psychische Störungen fördert. In ihrem Umfeld hat sie mit ihrer Art viele positive Erfahrungen gesammelt. «Meine Freunde verstehen mich und haben Verständnis, wenn ich zum Beispiel Verabredungen kurzfristig absagen muss.»
«Die Bilder machen mir Angst»
Solarska findet, dass der Gesellschaft derzeit noch die Sprache fehle, um über psychische Erkrankungen, die nicht so offenbar wie ein Beinbruch oder eine Krebserkrankung sind, zu sprechen. Sie überlegt sich oft situativ, wem sie in welchen Details von ihrer Krankheit erzählt. «Es ist noch ein Tabuthema. Aber ich finde nicht, dass ich mich für meine Erkrankung schämen muss. Warum sagen hier immer alle, dass es ihnen gutgeht, auch wenn es nicht so ist?»
Auch über die jeweiligen Therapien gibt es viele Vorurteile, unrealistische Horrorfilme über Anstalten haben ihr Übriges dazu beigetragen. Schreiende Menschen, vollgepumpt mit Psychopharmaka, Zwangsjacken. Solarska schüttelt den Kopf: «So ist es in der Klinik nicht. Ich war bisher neunmal hospitalisiert und habe nur wenige aggressive Menschen getroffen. Leute mit meinem Krankheitsbild sind eher ruhig und depressiv.»
Um ihre Geschichte zu erzählen und mit Vorurteilen aufzuräumen, hat Solarska auch ein Buch geschrieben, das in Polen erschienen ist. Ausserdem wurde ein Theaterstück von ihr in englischer Sprache im Berner Tojo Theater aufgeführt. «Nach der Diagnose etwas Neues anzufangen, war sehr schwierig. Es begann mit einer Linie, einem Punkt. Wenn ich male, habe ich Einfluss auf die Realität und kann trotz der Krankheit etwas schaffen und erreichen. Die Kunst ist mein Leben geworden, ist für mich wie Atmen. Ich gewinne durch sie Selbstvertrauen.» Sie entdeckte, dass sie trotz aller Hochs und Tiefs immer zu Farbe und Pinsel greifen kann.
In einer psychotischen Phase bringt sie Düsteres auf Papier: «Wenn ich diese Bilder hinterher ansehe, machen sie mir Angst. Andere hingegen sind voller Energie.» Mit sechs Gemälden ist sie nun in der aktuellen Ausstellung der Kunstwerkstatt vertreten (siehe Kasten). Alle Zeugnisse ihres neuen Lebens mit der Krankheit, aber auch der Kunst. Solarska ist überzeugt: «Sie hat mich gerettet.»
Michèle Graf
Dorota Solarska wurde am 27. November 1980 geboren. Sie stammt aus Polen und lebt mit ihrem Mann in Bern. Solarska ist als Malerin und Autorin aktiv, arbeitet seit 2019 in der Kunstwerkstatt Waldau. Ihre Werke postet sie auf dem Instagram-Kanal doraoutsideart.