Nik Eugster half mit seiner Samenspende nicht nur einem befreundeten Paar mit Kinderwunsch. Als aktiver Götti hat er auch einen besonderen Menschen in seinem Leben dazugewonnen: seine eigene Tochter.
Vor gut zwei Wochen überraschte er mit einem Social-Media-Post viele: «Es ist Zeit, dass ich euch – superstolz – meine biologische Tochter vorstelle.» Unter diesen emotionalen Worten zeigt ein Foto Nik Eugster mit einem Mädchen, sie geht an seinen Händen erste Schritte, beide lachen. Die Kleine, die im Februar 2020 zu Welt kam, ist die Tochter eines lesbischen Paares. Sie entstand mithilfe einer Samenspende des Selbstständigen, der mit einer der beiden Mütter, Manuela Burgermeister, seit Kindesbeinen an befreundet ist. Er zögerte nicht, als das Paar mit dem Kinderwunsch auf ihn zukam. «Es hat einfach alles gepasst. Das Vertrauen war da. Für mich stimmt die Konstellation und ich wusste sofort, dass sie wunderbare Eltern sein werden.» Was für die Frauen bis und nach der Geburt ihrer Tochter folgte, war aber eine Odyssee. Da lesbische Paare in der Schweiz keinen Zugang zur Fortpfanzungsmedizin haben, wurden die beiden von Ärzten teilweise abgewiesen, eine Samenspende über eine Samenbank war nicht möglich. Letztendlich gelang die Schwangerschaft mit der Bechermethode. Seit ihrer Geburt ist Eugster für das Mädchen, dessen Namen er zum Schutz nicht nennen möchte, da: «Ich bin der Götti plus. Ich möchte mich nicht Vater nennen, da ich die Aufgaben, die damit verbunden sind, nicht übernehme. Die Kleine hat zwei Elternteile und zwar Mama und Mami.» Bis es auch ofziell so weit war, verging über ein Jahr voller Hoffen und Bangen. Denn das Paar konnte zuerst nicht das gemeinsame Sorgerecht eintragen lassen. Nur eine Frau gilt vor dem Gesetz als Mutter, die Kesb sucht nach der Geburt ofziell nach dem Vater. Hätte Eugster sich zu erkennen gegeben, wäre eine Stiefkindadoption von Manuela Burgermeister nicht mehr möglich gewesen. Ein steiniger Weg begann, begleitet von Hauskontrollen und unfreiwilligem Schweigen.
«Das ist doch Schwachsinn!»
Seit wenigen Wochen sind beide nun ofziell die Mütter des Kindes, das Verfahren ist beendet. «Und jetzt darf ich endlich allen von meinem Göttikind erzählen. Es ist traurig, dass ich die schöne Nachricht nicht früher laut herausrufen durfte. Das war eine absurde Situation», so Eugster. Er wünscht sich, dass durch die Ehe für alle solche Umwege künftig passé sind. «Warum sollen die Frauen nicht gleich hinstehen können und sagen: Wir sind die Eltern und übernehmen die Verantwortung. Das Kind sollte doch von Geburt an gut abgesichert sein.» Eltern zu haben, die für ein Kind sorgen und es lieben, das bedeutet für ihn Kindeswohl. Braucht es dafür Vater und Mutter? Eugster verwirft die Hände: «Das ist doch Schwachsinn! Es gibt heute alle Arten von Familien. Alleinerziehende, Regenbogenfamilien, Patchwork, Grossfamilien. Das sind Realitäten.» Familie bedeutet für ihn 100 Prozent Vertrauen und angenommen zu sein, wie man ist. Mittlerweile besucht seine biologische Tochter eine Kita. Kürzlich fragte dort ein kleiner Junge die Mamas, wer von ihnen der Vater sei. Die zwei stellten sich als Mami und Mama vor. Der Junge nickte: «Okay.» Sache erledigt. Eugster schmunzelt über die Szene. Sie zeigt ihm, dass sein Mädchen Akzeptanz und Freunde fnden wird. «Ich mache mir da null Sorgen. Wir Erwachsenen sollten endlich kein Problem mehr mit diesen Schubladen haben.» Da die kleine Regenbogenfamilie ebenfalls in Bern lebt, kann er regelmässig mit seinem Göttikind spielen und seine Entwicklung mitverfolgen. Selbstverständlich ist er bei Geburtstagen dabei, man feiert zusammen Weihnachten. Auch seine Eltern haben das Mädchen kennengelernt und freuen sich für das Mami. «Das Mädchen soll wissen, dass ich ihr biologischer Vater bin und sie auch einen Bezug zu mir haben darf. Das war mir schon vor der Geburt sehr wichtig.» Die Mütter und Eugster wollen es dem Mädchen später selbst überlassen, wie die Beziehung aussehen soll. Aufgaben und Pfichten haben sie vor der Zeugung diskutiert, sogar schriftlich festgehalten.
Leihmutterschaft kein Thema
Auch Eugster konnte nicht vorhersagen, welch emotionale Wirkung ein Kind auf ihn haben würde. Einen Kinderwunsch hatte er nie, folgte einem anderen Lebensentwurf. «Vom Moment an, als ich mein Coming-out hatte, waren für mich Kinder auch abgehakt», erinnert sich Eugster, der sich mit 15 Jahren als homosexuell outete. «Zwar gab es damals Anfang der 90er schon Regenbogenfamilien, aber das war noch kein grosses Thema.» Umso mehr freut es ihn, dass der Zeitgeist sich gewandelt hat. «Heute diskutieren homosexuelle Paare selbstverständlich darüber, ob sie Kinder haben wollen. Toll!» Nicht nur für das Mütterpaar, sondern auch für Eugster ist deshalb die kommende Abstimmung zur Ehe für alle im September eine emotionale. Als Politiker engagiert er sich aktiv dafür, möchte mit seinem Statement als Götti plus auch Verständnis für Regenbogenfamilien schaffen. Beim Thema Leihmutterschaft schüttelt er aber entschieden den Kopf. Der Singlemann lehnt eigenen Nachwuchs über einen solchen Weg ab. «In der Schweiz ist das für alle nicht erlaubt.» Er fordert mit der Ehe für alle vielmehr gleiche Rechte wie heterosexuelle Ehepaare. Sonst werde für die Fortpfanzungsmedizin ins Ausland ausgewichen, verbunden mit zahlreichen rechtlichen Unsicherheiten. Eugster will das per Gesetz lieber in der Schweiz geregelt wissen. «Schaffen wir doch die Benachteiligung einer Bevölkerungsgruppe gemeinsam ab.»
Michèle Graf