Stephanie Neuhaus ist eine von vier Beladerinnen, die mit ihren 60 Kollegen jeden Tag für Sauberkeit in Stadt und Agglomeration sorgen. Ein Einblick in einen bewegten Alltag.
Sie arbeitet in einem von Männern dominierten Arbeitsfeld. Nur gerade 6 von 60 Mitarbeitenden bei Entsorgung + Recycling Stadt Bern (ERB) sind Frauen, zwei davon sind LKW Fahrerinnen. Auf den ersten Blick sieht man der eher zierlichen Stephanie Neuhaus nicht an, dass sie vier oder gar sechs schwere Abfallsäcke auf einmal in den Rumpf des Transportfahrzeugs hieven kann. Erst beim genaueren Betrachten fallen die kräftigen Schultern auf unter ihrer Arbeitskluft; Ihr dynamischer, aufrechter Gang strotzt vor Tatkraft. «Man darf keine Angst vor dieser Tätigkeit haben und anpacken wollen. Und es braucht auch eine Portion Mut», erklärt sie gleich als erstes. Dazu gehört: Keine Scheu vor Schmutz und dem Gestank sowie vor den Jahreszeiten. An die Düfte gewöhnt man sich. Aber: «Auf dem Trittbrett ist man jahrein jahraus dem Wetter ausgesetzt. Im Winter ist das manchmal ganz schön hart – die Kälte ist neben der Nässe das Schlimmste.»
Unschöne Einblicke in Bern’s Haushalte
Gegen die Kälte helfen Handschuhe. Sie gehören im Winter dicker, im Sommer dünner zur obligatorischen Schutzausrüstung der Belader und Beladerinnen. Dazu Sicherheitsschuhe, lange Arbeitshosen und Leuchtweste. Und schliesslich der unermüdliche Körpereinsatz. Da hilft nur Muskelkraft – ERB beteiligt sich grosszügig am Fitnessabonnement. Pro Tag sind es mehrere Hundert Abfallsäcke, die ein einziger Belader Stück für Stück in die Hände nimmt. Der Arbeitstag beginnt morgens um sieben an der Murtenstrasse 100. Dort werden die Beladerinnen und Belader den Fahrzeugen und Chauffeuren zugeteilt. Man dreht nicht jeden Tag dieselbe Tour. Zu sehen gibt es vielerlei. Auch Schockieren des. «In der Stadt sehen wir viele Esswaren. Schlimm finde ich original eingepacktes Fleisch, Teigwaren und Reis, volle Milchbeutel und Essensreste » , zählt Stephanie Neuhaus einiges auf. Die Entsorgungsteams arbeiten in drei Etappen: Nach einer Znünipause bedienen die Lastwagen die Innenstadt, am Nachmittag folgt die dritte Tour und um 16 Uhr ist Feierabend.
Kein Verständnis für blockierte Strassen
Apropos Stadt: Hier ist die Arbeit im Gegensatz zu den Quartieren anstrengender – und undankbarer. In den engen Gassen ist Schritttempo angesagt. Das sorgt nicht selten für aggressives Gebärden der Automobilsten. «Uns wurde auch schon der Stinkfinger gezeigt», erzählt die Beladerin gelassen. Weniger gelassen sieht sie es hingegen, wenn die anderen Verkehrsteilnehmenden mit halsbrecherischen Überholmanövern zusätzlich für Gefahr sorgen. «Velofahrer, die rechts überholen, sind die schlimmsten», berichtet Stephanie Neuhaus von den Risiken ihrer Tätikgkeit auf dem Trittbrett. Trotzdem ist die Ghüderfrau – man darf sie übrigens so nennen – täglich motiviert, in Bern für Sauberkeit zu sorgen. Sie und Ihre Kollegen sind für die Gesellschaft unentbehrlich. Das wird oft zu wenig geschätzt. Man möchte sich nicht vorstellen, w i e es aussähe, wenn…oder doch: «Menschen, die an Feiertagen wie Auffahrt oder Pfingstmontag ihren Ghüder trotzdem auf die Strasse stellen, können entweder nicht lesen oder sind einfach rücksichtslos», sagt Stephanie Neuhaus über die hiesigen Ausnahmezustände und ergänzt: «Ich wünsche mir, dass die Leute ihre Abfallsäcke nicht überladen, sauber zubinden und das Papier sauber bündeln. Und mehr Wertschätzung. Das würde unseren Job um vieles erleichtern.»
R. Münstermann