Hüseyin Aydemir sah auf der Balkanroute Situationen, die ihn nie mehr losgelassen haben. Beim Gespräch im Lokal Heitere Fahne erzählt der Menschenrechtsaktivist, was ihn antreibt und wieso er denkt, dass Helfen nie ganz selbstlos ist.
Hüseyin Aydemir war 2015 an einer Hochzeit eingeladen, als ihn eine Aktivistin von «Tsüri hiuft» fragte, ob er Lust habe, sich für Flüchtlinge vor Ort einzusetzen. «Ich war leicht angetrunken und habe spontan zugesagt», erinnert sich der 42-Jährige. Seine geplante Late-Night-Show «Helft mir – ich bin Aydemir» verschob er. Endlich etwas zu tun, schien ihm wichtiger. Mit zwölf Autos machten sich ungefähr sechzig Personen nach Ungarn auf. «Es war kurz bevor dieser Spinner namens Orban die Grenzen geschlossen hat», so Aydemir. «Menschen kamen in überfüllten, dreckigen Zügen an.» Kinder, Alte, Schwangere und Verletzte seien dabei gewesen. «Wir haben eine Art Tankstelle aufgebaut, bei der man sich mit Essen und Kleidung eindecken konnte.» Als Chauffeur habe er schliesslich schwer verletzte Menschen vom Bahnhof zu der sechs Kilometer entfernten Grenze gebracht, was ihm Ärger mit der ungarischen Polizei eingetragen habe. Erst als er verhandelte und versicherte, er würde die Flüchtlinge auf österreichischen Boden bringen, liess man ihn gewähren. «Sie waren froh, die Menschen los zu sein.» Viele der geflüchteten Syrer hätten türkische Wurzeln, genau wie er. Sie seien einst als Wirtschaftsflüchtlinge nach Syrien gegangen und hätten nun erneut flüchten müssen, so Aydemir. «Das hat mich besonders betroffen gemacht.»
«Held» ist ihm peinlich
Das Bild des toten syrischen Jungen Alan Kurdi, der 2015 im Mittelmeer ertrank, ging um die Welt. Eine Ikone, die etwas ausgelöst habe, so Aydemir. «Plötzlich schossen Hilfsorganisationen wie Pilze aus dem Boden.» Aydemir geht aber auch mit den Volonteers, den Freiwilligen also, hart ins Gericht. «Einige sind nicht ehrlich», sagt er. Sie würden stets betonen, sie täten das alles nicht für sich selbst. Doch seiner Meinung nach existiert kein bedingungsloser Einsatz. Die Lust am Abenteuer könne Helfer ebenso motivieren wie der Wunsch nach Gemeinschaft. «Es kann zur Sucht werden.» Er selbst bibbere, wenn er hier sei und nichts tun könne. Gesundheitliche Probleme hätten ihn etwas gestoppt, er plane indes bereits den nächsten Einsatz. Das Wort «Held» findet er eher peinlich. «Ich bin ein Draufgänger, der gerne in der Öffentlichkeit steht», gibt er zu. Vor Leuten zu sprechen, verleihe ihm einen Kick. Dass er extrovertiert sei, helfe letztlich der Sache, ist Aydemir überzeugt. «Der Feminismus, die Klimajugend – alles ist heute Popkultur», sagt Aydemir, der sein violettes Halstuch vom Frauenstreik immer noch trägt. Auch er selbst sei letztlich via Facebook auf die Notlage an der Balkanroute aufmerksam geworden.
Drohungen und Beschimpfungen
Aydemir war unter anderem in Griechenland am Strand, als Mazedonien die Grenze schloss. «Action pur» sei das gewesen, als Flüchtlingsschiffe ankamen. Als Helfer habe man eine Verantwortung, findet er. «Man trifft auf exotische Frauen und Männer, die bereit sind dich sofort zu heiraten.» Manche würden dieses Abhängigkeitsverhältnis ausnützen, obwohl sich auch schöne, ergeben würden, beeilt sich Hüseyin zu präzisieren. Aydemirs Einsatz für Flüchtlinge finden längst nicht alle gut. Wer sich exponiere, müsse mit Drohungen und Beschimpfungen rechnen, meint er. «Angst habe ich keine. Aber es ist mir wichtig, meine Familie rauszuhalten.» Aydemir hat 3500 Facebook-Freunde, mit politischen Statements lehnt er sich dort regelmässig aus dem Fenster. Er stehe der SP und den Grünen nahe. In eine Partei eintreten, das wolle er hingegen nicht. «Ich bin ein freier Geist.» Und in seiner nächsten Late-NightShow möchte er nach rechts wie links austeilen können.
Helen Lagger