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Emanzipation als Lebensaufgabe

Für sie ist jeder Tag Frauentag: Nicht nur am 8. März, sondern das ganze Jahr beschäftigt Maëlle I. Pérez und ihre Mitarbeiterinnen von der Frauenzentrale Bern das Thema Gleichstellung von Frau und Mann.

Der Kampf um Gleichberechtigung, das Frauenwahlrecht sowie die Emanzipation von Arbeiterinnen standen beim ersten Internationalen Frauentag 1911 im Mittelpunkt. Auch heute wird immer noch jährlich am 8. März auf frauen- und gesellschaftspolitische Anliegen aufmerksam gemacht. Maëlle I. Pérez weiss, in welch grossen Gleichstellungsfussspuren sie da steht. Die Bernerin leitet seit 2014 die Frauenzentrale Bern FZBE, den dahinterstehenden Verein gibt es bereits seit 103 Jahren. «Er entstand, um die Gleichstellung der Frauen in Wirtschaft und Alltag zu fördern. Damals wie heute ist es das Ziel, Informationen, Bildung und Angebote zu den Menschen zu bringen», erklärt Pérez. Die FZBE bietet so Beratung in Budget-, Rechts- und Vorsorgefragen an, früher nur für Frauen, heute für alle.

Die FZBE hat einen Leistungsvertrag mit dem Kanton. Daneben gibt es ein Alimenteninkasso-Büro, das zu Unterhaltsansprüchen berät und derzeit circa 800 Dossiers betreut. «Über 1000 Dienstleistungen haben wir im letzten Jahr erbracht», weiss Pérez um die Zahlen.

Die Beratungen der FZBE bieten Expertinnen und Anwältinnen zu einem günstigen Tarif und niederschwellig an. «Sie vermitteln die Inhalte fachlich kompetent, aber so, dass man sie auch versteht.» Vom Konkubinatspaar, über die Studentin mit der ersten Steuererklärung, die Dame kurz vor der Rente bis hin zur Frau, die ein Testament korrekt schreiben möchte, kommen alle vorbei.

Hinter allen Klientinnen und Klienten steht eine Geschichte. Viele stecken in persönlichen und auch wirtschaftlichen Krisen, beziehen Sozialhilfe, haben Schulden. Auch Menschen mit mittlerem Haushaltseinkommen kämen manchmal gerade noch so über die Runden, das Schuldenrisiko ist gross. Ihr Anteil in den Beratungen steige seit Jahren, weiss Pérez aus ihrer Statistik. «Die Gespräche sind sehr ehrlich. Wir kennen die Situation unserer Klientinnen sehr gut und können dann hilfreiche Tipps geben oder Budgets erstellen.» Am besten geht dies face-to-face, doch während der Pandemie ist auch ein Telefon- und Onlineangebot entstanden.

«Scham und ein schlechtes Gewissen spielen oft eine Rolle.» Wenn akute Not da ist, unterstützt die FZBE auch einmalig mit einer Zahlung aus ihrem Direkthilfefonds, auch um ein Abrutschen in die Schulden zu verhindern. «Solche Fälle gibt es mehr als man meint.»

Wichtige Zweitmeinungen
Deshalb möchte Pérez gerne die Schuldenprävention in Zukunft verstärken, am liebsten mit einer Beratungsform für Menschen, denen alles über den Kopf gewachsen ist. «Manche haben psychische Probleme oder kommen mit den Alltagsfinanzen nicht zurecht. Es kommt ein Brief der Steuerbehörde und sie verstehen den Inhalt nicht. Hier wäre es toll, wenn sie gemeinsam mit der Beraterin alles ordnen könnten.»

Einen grossen Bereich nimmt das Familienrecht ein. Die Komplexität und Vielschichtigkeit der Fälle habe sich sehr erhöht, stellt die Geschäftsführerin fest. Wenn ein Paar, das in einer Patchworkfamilie lebe, sich trennen möchte, kann es leicht ganz schön kompliziert werden. «Je nachdem, ob verheiratet oder nicht, spielen noch Unterhaltszahlungen von Ex-Partnern oder an weitere Kinder eine Rolle.»

Immer mehr beobachtet Pérez, dass Männer zu den Terminen mitkommen. Gerade wenn es um Familienbudgets, Vorsorge oder Trennungsfragen geht. «Trennung bedeutet, dass man sich beraten lassen sollte. Das ist in den Köpfen angekommen.» Eine Zweitmeinung einzuholen, lohnt sich.

Ausgang ohne Angst
Bei der Altersvorsorge seien die Frauen selbstbewusster geworden, viele kommen schon jung in die Erstberatung. Sich auch hier als gleichberechtigtes Paar zu sehen, ist laut Pérez ein Trend. «Neulich war ein junges Paar bei uns, das gerade eine Familie gründete. Die Frage, wer bleibt mehr zu Hause und was bedeutet das für die Altersvorsorge, stand an. Was müssen wir als Partner aushandeln? Kann einer dem anderen etwas abgeben?»

Pérez nickt wissend. 40 Jahre ist sie in der Frauenbewegung aktiv. «Der Feminismus war in den 80ern ein anderer als heute. Ich gehörte zu einer jungen Frauengruppe, die in den Ausgang wollte, ohne Angst haben zu müssen. Wir gründeten dann ein Frauennachttaxi.»

In diesem Jahr wird sie die Geschäftsführung in der FZBE abgeben und pensioniert. Pérez freut sich auf den neuen Lebensabschnitt und dass die FZBE dann eine jüngere Führung bekommt. «Das bringt frischen Wind. Wir sind im Wandel.» Wie die meisten Vereine der Schweiz kämpfen auch sie mit einem Mitgliederschwund. Sind junge Frauen nicht mehr interessiert an der Gleichberechtigung? «Doch. Junge Menschen bringen sich in die Bewegung auf anderen Wegen ein.» Ob in den Themen Individualbesteuerung, Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Aufwertung der Familienarbeit, Gruppen gibt es überall.

«Genderthemen gewinnen mehr und mehr an Relevanz.» Um sich möglichst gut zu vernetzen, ist der Verein der FZBE auch Mitglied in zahlreichen Vereinigungen wie Alliance F oder dem Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein (sgf Bern). Mit öffentlichen Anlässen wie zum Erbrecht oder Lohnverhandlung bringt die FZBE Wissen unter die Leute.

Der Verein ist auch politisch aktiv, so sitzt Pérez zum Beispiel in der kantonalen Fachkommission für Gleichstellungsfragen. Einige Vereinsmitglieder treten bei kantonalen und nationalen Wahlen an. Die Parteizugehörigkeit ist dabei nicht entscheidend. «Wir machen keine politischen Stellungnahmen im Einzelnen, uns geht es immer noch im Kern um die Verbesserung der Stellung der Frau in Wirtschaft und Alltag. Wir sind konstant am Puls, um die Gleichstellung mehr und mehr zu realisieren.» Ein Weg der in kleinen, aber gewichtigen Schritten seit über 100 Jahren vorangeht.

Michéle Graf

Maëlle I. Pérez (64) wohnt in Bümpliz, ist geschieden und hat drei Hunde. Die Psychologin und Therapeutin war Gleichstellungsbeauftragte in verschiedenen Institutionen, bevor sie vor acht Jahren Geschäftsführerin der Frauenzentrale Bern wurde.

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