Hans Jenni und seine Familie engagieren sich seit über zehn Jahren für die Ukraine. Über die Kontakte vor Ort erreichen sie täglich schlimme Nachrichten aus dem Kriegsgebiet.
Es sind angespannte Tage, die Hans Jenni und seine Familie aus Wabern gerade erleben. «Im Moment können wir noch täglich mit unserem Kontaktmann kommunizieren, aber das wird wohl abreissen. Die Kommunikationswege abzuschneiden, ist ja leider eine Taktik im Krieg», sagt der Pensionär und Vizepräsident des Vereins Ukraine-Direkt. Seit 13 Jahren ermöglicht das private Hilfswerk aus Bern den Transport von Gütern und Geldspenden, hauptsächlich in den Westen der Ukraine. «Nun können wir aber nichts mehr liefern, die Transporte kommen nicht mehr ins Land. Zum Glück konnten wir unserem Mann vor Ort ganz knapp vor Kriegsbeginn noch einen Geldbetrag überweisen», erzählt Jenni. Der Kontaktmann und seine Familie, deren Name Jenni aus Sicherheitsgründen nicht nennen möchte, sind über die Jahre Freunde der Familie geworden. Ob er das Geld abheben konnte, ist fraglich, da die Bankomaten derzeit nur noch eingeschränkt funktionieren.
«Er weiss, wie Krieg ist»
Seine Nachrichten erreichen Jenni per E-Mail oder Viber aus der Stadt Rivne, die zwischen Lemberg und Tschernobyl nahe der Karpaten liegt. Obschon die Stadt gleich gross wie Bern und nur zwei Flugstunden entfernt ist, herrschen dort ganz andere Lebensumstände. «Bereits vor dem Krieg ging es den Leuten schlecht. Der Staat sorgt nicht gut für Bedürftige.» In den letzten Tagen haben die Menschen im stabilen ausgebauten Keller Schutz gefunden und harren während Bombardements aus. Der alte Flugplatz der Stadt wurde zerstört. Jenni weiss, dass sein Kontaktmann seine Heimat verteidigen will. «Er war zwei Jahre Sanitätsfahrer in Afghanistan, noch unter russischer Herrschaft. Er weiss, wie Krieg ist. Doch er wird sicher nicht fliehen, will helfen bis zum bitteren Ende. Die Ukrainer hängen sehr an ihrem Land.» Die Gruppe in Rivne ist nun mit einem Notstromaggregat versorgt und hat Vorräte wie Holz und Gas zum Heizen angelegt. Der Krieg kam mit Ansage. Politisch möchte Jenni sich nicht äussern, ihm geht es um die Menschen vor Ort. Um den Krieg schnell zu beenden, wünscht sich der Berner aber, dass der Bundesrat dezidierte Massnahmen beschliesst und den abwartenden Kurs verlässt.
Alle Secondhand-Kleider werden einzeln sortiert
Von der Schweiz aus kann Ukraine Direkt nun nichts unternehmen: «Wir fühlen uns in gewisser Weise machtlos. Aber sobald es wieder möglich ist, werden wir sofort Spenden in die Ukraine bringen.» So ist seine Frau just unterwegs, um Kleider bei einem Secondhand Laden abzuholen. Jedes Teil sortiert das Rentnerpaar von Hand, knüpft Kontakte zu anderen Hilfsaktionen, organisiert Transporte, Zollformalitäten und Geldtransfers. Über 120 Spenderinnen und Spender hat das kleine Hilfswerk, hauptsächlich engagierte Privatleute und Kirchgemeinden. Über die Jahre ist man gewachsen, doch: «Wir bleiben bewusst eine kleine Organisation, um die Arbeit auch bewältigen zu können», sagt Jenni. Zu seinem Einsatz für das Land am Schwarzen Meer kam er durch seine Tochter, die einst mit einem Ukrainer liiert war. Dann übernahm die Familie das Vorgängerhilfswerk von Ukraine-Direkt, das von einem Pfarrer aus Spiegel bei Bern gegründet worden war. Vor der Pandemie reiste Jennis Tochter einmal jährlich in das Land. Er selbst hat die Ukraine einmal besucht, war in Kiew und besichtigte die Projekte vor Ort, schloss Freundschaften. «Die Menschen sind sehr gastfreundlich. Es beeindruckt mich, wie solidarisch sie untereinander sind, obwohl viele unter der Armutsgrenze leben.» Ein grosses Problem ist dementsprechend die Korruption. Jeder müsse nebenher etwas Geld machen, um seine Familie ernähren zu können. «Eine Gymnasiallehrerin verdient dort etwa 300 Franken monatlich. Davon kann man nicht leben.»
Besser Geld als Waren spenden
In der Pandemie wurden die zwei Kinderheime, die der Verein unterstützt, vom Staat geschlossen. 160 Kinder strandeten, teilweise nahmen Pflegefamilien und Mitarbeitende sie auf. «Nun haben manche 20 Kinder bei sich zuhause», erzählt Jenni. Hier sponserte Ukraine-Direkt mehrere Waschmaschinen und Kühlschränke. Durch den Kontaktmann werden Geld und Waren fair und verlässlich verteilt. Das Hilfswerk dokumentiert alles schriftlich und mit Fotos. So besorgte der Verein 2021 für ein Psychiatrieheim 50 neue Betten, brachte 1200 Säcke mit Kleidern und Schuhen in die Ukraine, lieferte Gerätschaften an Spitäler und Alterszentren. «Wir helfen immer projektbezogen und wissen, dass jeder Franken ankommt. Es nützt nichts, Geld ins Land zu pumpen, das dann irgendwo versickert.» Da viele Waren in der Ukraine günstiger sind, ist der Verein immer froh über Geldspenden, um bedarfsgerecht vor Ort kaufen zu können. Trotz der derzeit wenig hoffnungsvollen Lage ist Jennis Wille zu helfen, ungebrochen: «Wir machen weiter. Immer im Bewusstsein, dass wir für die Menschen dort arbeiten und nicht für ein Regime.»
Michèle Graf