Sie hängen an seinen Lippen, zu Zehntausenden: Räphe und seine Volksmusik-Formation Heimweh sind eine musikalische Sensation. Wieso eigentlich?
Räphe, wir sitzen in einem Restaurant in Bümpliz, Sie wohnen aber im solothurnischen Niederwil. Da packt Sie sicher ab und zu das Heimweh.
Klar, in Bümpliz liegen meine Wurzeln, ich ging hier in die Primar- und Sekundarschule, dazu habe ich bei Rot-Blau-Bern-Bümpliz Eishockey gespielt und Freundschaften gepflegt, die bis heute halten. Deswegen komme ich mit einem lachenden und tränenden Auge hierher.
Sie haben laut eigenen Angaben auch Töffli frisiert und sich in Bümpliz das erste Mal im Leben verliebt. Was ist Ihnen sonst noch geblieben?
Es gab das eine oder andere Mal Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Gruppen, eine ständige Rivalität zwischen Bethlehem und Bümpliz. Ich traf mich mit Freunden, wir liefen Richtung Bethlehem, ab und zu hat es dann «ghäscheret». Das ist aber nicht vergleichbar mit heutigen Gewaltexzessen.
Ging es früher wirklich weniger rabiat zu und her als heute?
Aus der Retrospektive betrachtet: ja. Früher wurden Auseinandersetzungen mit Worten geschlichtet, vielleicht flog mal eine Faust. Es waren aber keine Waffen im Spiel, keine Fusstritte und es wurde niemand geschlagen, bis er blutüberströmt am Boden lag. Es war Mann gegen Mann, nicht fünf gegen eins. Danach haben wir bei einer Cola wieder Frieden geschlossen.
Wer wie ihr heimatliche Klänge produziert, steht sowieso unter dem Verdacht, konservativ und Fremdem gegenüber kritisch eingestellt zu sein.
Ich bin kein Politiker und gehöre keiner Partei an. Wir möchten die Schweiz nicht als etwas darstellen, das sie nicht ist, wir möchten den Menschen in unseren Liedern zeigen, dass wir in einem wunderschönen Land leben. Was nicht heisst, dass nur Milch und Honig fliesst. Mühe habe ich aber mit denjenigen, die sich nicht an unsere Regeln halten oder unser System ausnützen wollen.
Ihr habt von euren ersten beiden Platten 100 000 Stück verkauft, eure Konzerte sind sehr gut besucht, sprich: Ihr trefft den Zeitgeist.
Die Art von Musik, die wir machen – diese Mischung aus Mundart, Jutzen und Pop – gibt es nicht allzu häufig. Hinzu kommen die Texte: Wir singen in drei Minuten über etwas, das uns allen tagtäglich passieren kann, was vielen Menschen sehr nahe geht.
Nennen Sie uns ein Beispiel.
Ich beispielsweise singe «Stets in Truure», dieses Lied hat einen Bezug zu meiner Frau, die vor 26 Jahren an einem Herzschlag starb. Plötzlich ist ein Mensch nicht mehr da, mit dem du das gesamte Leben verbringen wolltest. Zu diesem Zeitpunkt war ich allein mit meinen zwei Kindern, eines 8 Wochen alt, das andere 15 Monate, ich persönlich war 28. Wenn du das anderen Menschen erzählst und sagst, dass das Leben trotzdem lebenswert ist, dass man jemanden anderen kennenlernen darf, wie mir das vor anderthalb Jahren passiert ist – ich war 9 Monate später übrigens schon verheiratet – dann gibt das den Menschen, denen du das erzählst, eine Perspektive.
Braucht es persönliche Schicksalsschläge, um einen richtig guten Text verfassen zu können?
Das glaube ich nicht. Es handeln ja auch nicht alle Geschichten, die wir erzählen, vom Tod. Im Lied «Mis Chind» geht es in 3 Minuten darum, wie ein Kind aufwächst, älter wird, sich räumlich von den Eltern distanziert und du aber sagst: «Mein Kind, ich bin dein Vater und bin immer noch für dich da». Für Eltern, die sich mit ihren Kindern zerstritten haben, ist der Song möglicherweise ein Wegweiser, um Versöhnung zu suchen.
Ihr kommt aus den unterschiedlichsten Ecken des Landes, jeder singt in seinem eigenen Dialekt. Wie funktioniert das in der Gruppe?
Es kann passieren, dass ich auf der Bühne einen Song im Urnerdialekt singen muss, wie das etwa bei «Vom Gipfel is Tal» der Fall ist, obwohl ich manchmal zunächst kein Wort verstehe. Unser Produzent Georg Schlunegger textet also zunächst mal auf Berndeutsch, da er Berner ist, dann wird das Ganze umgeschrieben. Manchmal braucht man fast einen Decoder (lacht).
Ihr seid mit eurem neusten Album von Null auf Eins und habt Ariana Grande und Ed Sheeran hinter euch gelassen. Müssen Sie, Räphe, noch arbeiten?
Ich besitze eine Bar (Ralph’s Place in Niederwil SO, Anm. d. Red.) – als Ausgleich. Wir haben auf dem Flumserberg vor 18000 Menschen gespielt, ein Meer von Leuten, und am Montag freue ich mich, in meiner kleinen Bar wieder Sandwiches zu machen und einfach Gastgeber zu sein.
Bleibt bei all den Konzerten überhaupt noch Zeit für Privates?
Mein Leben ist mit viel Verzicht verbunden, meine Frau wohnt in Savognin im Bündnerland und hat dort ihr eigenes Unternehmen. Wir sehen uns spärlich, im August haben wir uns genau am 1. August und am letzten Wochenende gesehen, sie unterstützt mich aber voll und ganz, hat mich so kennengelernt. Ich sage immer: Nimm mir die Musik, und ich sterbe.
Yves Schott