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Er verhilft alten Gegenständen zu neuem Leben

Gartenstuhl durchgebrochen, der Staubsauger will nicht mehr oder die Schreibmaschine klemmt? Michel Savary von der Flickerei kann fast alles reparieren. Er glaubt an zweite Chancen statt Wegwerfen.

Da hat die Hauskatze wirklich ganze Arbeit geleistet: Der Korbstuhl, den eine Kundin gerade in die Flickerei bringt, hat ein grosses Loch, da, wo eigentlich die Sitzfläche sein sollte. Teile des Flechtrohrs stehen in alle Richtungen ab. «Das können wir reparieren», kann Flickerei-Inhaber Michel Savary der Kundin nach einem fachmännischen Blick versichern. Schnell bringt er Teile fürs Stuhlgeflecht herbei, erklärt wie die Ausbesserung funktionieren wird. In zwei Wochen ist der Stuhl wieder «besitzbar». «Sonst könnte man ihn nur noch wegwerfen», weiss Savary. Dieses vermeintliche Schicksal vieler Gegenstände hat ihn vor einigen Jahren auf die Art Mission geschickt: Dingen durch Reparatur eine zweites Leben ermöglichen. Für Savary auch eine Lebenseinstellung. Der gelernte Schreiner hatte schon immer ein Händchen fürs Flicken. Er erinnert sich an die Anfänge seines Geschäfts: «Mich fragte mal eine Nachbarin, ob ich ihren Kinderwagen reparieren könnte. Die Bremse war kaputt, doch da man das Bauteil nicht öffnen konnte, muss der ganze Wagen weggeworfen werden. Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein.» So reifte in ihm der Entschluss, mit Freunden eine kleine hobbymässige Flickwerkstatt zu eröffnen. Als immer mehr Menschen mit kleineren Reparaturen kamen, gründete er den Verein Flickerei mit Ladengeschäft. «Ich hatte immer ein Gespür dafür, was gefragt ist. Wir sind zum Glück in der richtigen Zeit gestartet», sagt er. Heute kann Savary von dem Geschäft leben, hat noch zwei Kolleginnen beziehungsweise Kollegen. Jeder hat sein Spezialgebiet.

Möbelklassiker und mechanische Schreibschätze
Vor einem Jahr zog die Flickerei dann in eine grössere Werkstatt um. Es wird genäht, gehämmert und geschraubt. Von Lampen über Nähmaschinen, Mixer bis hin zu Staubsaugern findet sich hier alles. In einem Extraraum werden Spaghettistühle neu bespannt und Ledersessel ausgebessert. Die Reparatur von Sitzmöbeln macht inzwischen fast 80 Prozent des Umsatzes aus. Savary kann als einer von wenigen in der Schweiz alte Binsenstühle reparieren. Das Wissen eignete er sich bei einer Flechtmeisterin in Deutschland an. Stühle sind oft Klassiker und Familienerinnerungsstücke. «Sie sind wertvoll, da lohnt sich eine Reparatur immer. Stühle flicke ich auch am liebsten, und Schreibmaschinen.» Schreibmaschinen? Benutzt die noch jemand? Savary lacht. «Die sind voll Trend, gerade bei jungen Menschen.» Stolz führt er seine eigene Maschine, eine Olivetti, vor. «Solche waren noch für die Ewigkeit gebaut.» So war auch die bisher speziellste Reparaturanfrage für eine Schreibmaschine. Bei der circa 100 Jahre alten AEG Mignon Typ 4 muss man erst die Letter auf einem Feld auswählen und einen Abzug drücken, ein riesiger Kolben haut sogleich den Buchstaben auf Papier. Eher etwas der Marke «Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht», aber Savary hat Freude an solchen Raritäten. Sie schaffen es oft auf die Webseite als Blogbeitrag. Das gestiegene Bewusstsein für Nachhaltigkeit fördert sein Geschäftsmodell ebenfalls. So sind die meisten Kunden über 25 Jahre alt, haben mehrere Anläufe unternommen, jemanden zu finden, der etwas Altes reparieren kann. «Die Leute sind meistens sehr dankbar und happy, dass ein Teil wieder läuft.»

Eingebaute Macken
Wird es technisch zu komplex, verweist die Flickerei auf andere Werkstätten. Fernseher, Kaffeemaschinen und Handys werden hier nicht geflickt. «Leider sind heute viele Sachen so konzipiert, dass man sie nicht mehr reparieren kann. Elektromechanische Teile kann ich noch austauschen, anderes nicht.» Der Eindruck, dass bestimmte Teile so programmiert sind, nach drei bis vier Jahren kaputt zu gehen, drängt sich auf. Savary zuckt mit den Schultern. «Beweisen kann man das nicht.» Gerade bei den sehr günstigen Geräten aus China lohnt sich oft die Reparatur nicht mehr. «Wir haben vergessen, was für einen Wert die Sachen haben, und alles ist darauf ausgelegt, mit den Geräten viel zu verdienen», kritisiert Savary die Konsumgesellschaft. Er kann nur gute Arbeit leisten, wenn die Basis das qualitativ hergibt. Und die Kunden offen für kreative Lösungen sind. Das Gerät sieht hinterher vielleicht nicht mehr original aus, läuft aber wieder. Die Flickerei arbeitet grösstenteils ohne Ersatzteile. «Wenn bei einem Gerät ein Ein-Aus-Schalter kaputt ist, suche ich nicht zwischen 10000 Schaltern nach dem Einem. Wir überbrücken das Teil lieber und machen den Schalter ans Kabel. Dann funktioniert es wieder.» Zweites Leben geglückt.

Michèle Graf

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