Bern und Zürich, beide wollen die Rad-WM 2024 zu sich holen. Doch wie wichtig ist der Anlass für die Hauptstadt eigentlich? Und gibt es wie bei der Euro08 wieder nur Einheitsbier einer dänischen Grossbrauerei zu kaufen? Zum Interview mit dem Bärnerbär erscheinen Reto Nause, Marc Heeb und Frank Hofer – natürlich – mit dem Velo.

Reto Nause, im Wettringen mit Zürich spielt Prestige eine beträchtliche Rolle.
Bern hat als Velostadt Tradition, zudem möchte der Gemeinderat alle zehn Jahre einen Grossevent wie damals die Euro08 durchführen. Mit der Rad-WM käme internationales Publikum, das sicherheitstechnisch wohl kaum Probleme bereitet – zudem würde das Para-Cycling so stark in den Wettkampf eingebunden wie nie zuvor. Nein, es geht nicht um Prestige, wir wollen diesen Anlass unbedingt und sind überzeugt davon, ein entsprechendes Ambiente anbieten zu können.

Sie haben in einem Interview erklärt: «Zürich klotzt, wir aber haben eine Kandidatur der Herzen.» Das ist eine etwas gar vereinfachte Aussage.
Wie viel mehr Geld Zürich zur Verfügung hat, weiss ich nicht. An der Berner Kandidatur ist nicht die Höhe des Geldes beachtenswert, sondern, dass dieses Projekt von Stadt, Region und Kanton gemeinsam unterstützt wird. 14 Gemeinden ziehen mit der Stadt Bern mit: Der SVP-Gemeindepräsident von Zollikofen macht mit der rot-grünen Berner Stadtregierung gemeinsame Sache – das ist aussergewöhnlich. Das meine ich mit Kandidatur der Herzen.

Frank Hofer: Ich kann Reto Nause in seinen Aussagen nur unterstützen. Es sind schon jetzt sehr viele Emotionen im Spiel, das Feuer brennt, alle 15 involvierten Gemeinden stehen wie ein Herz und eine Seele hinter dem Projekt.

Was Sie beide sagen, stimmt sicherlich. Bloss: Das behauptet Zürich von sich natürlich alles ebenfalls.
Nause: In Bern besteht zum Velo auch eine wirtschaftliche Verbundenheit. Hier befindet sich Thömu’s Veloshop, wir sind also Produzentenstadt. Scott, BMC und DT Swiss liegen in unmittelbarer Nähe, Flyer stammt aus Huttwil. Bern hat einen Radquer-Weltcup, der sich nach langer Zeit hier wieder etabliert hat. Zudem war auch die Tour de France 2016 in Bern zu Gast. Es existiert also sozusagen eine natürliche Velolegitimation.

In Bern fand 2016 schon die Kunstturn-EM statt, 2009 gastierte hier die Eishockey-WM, in diesem Sommer wird das Formel-E-Rennen in der Bundeshauptstadt durchgeführt. Man könnte ja sagen: Dann geben wir die Rad-WM halt jemand anderem.
Hofer:
Bezüglich «Big Events» sollten sich die zwei Städte sowieso nichts vorwerfen, beide veranstalten regelmässig Grossanlässe. Wir hoffen, dass sich Swiss Cycling auf den Radsport fokussiert – dann hiesse der Sieger definitiv Bern. Nicht zuletzt wegen der hier laufenden Velo-Offensive. Unser WM-Dossier basiert auf einem überzeugenden Sportkonzept mit einer Strecke, die das Potenzial zum Klassiker aufweist, die den Para-Cycling-Bedürfnissen voll gerecht wird und von 14 begeisterten Gemeinden unterstützt wird. Ich bin ursprünglich Bieler, also immerhin halbneutral (lacht). Ja, das Veloherz schlägt in Bern definitiv höher.

Ist Bern für eine Rad-WM denn überhaupt gerüstet? Sie soll, so heisst es, die grösste Veranstaltung seit der Fussball-EM 2008 werden.
Marc Heeb:
Sehr gut sogar. Gerade bezüglich des Projektmanagements. Bern befindet sich in dieser Hinsicht auf Augenhöhe mit Zürich – mindestens. Ich weiss nicht, ob die Zürcher 2008 mit 150 000 Holländern fertig geworden wären: Sämtlichen Oranjes standen übrigens genügend Mehrwegbecher zur Verfügung, obwohl wir von vielen Gastronomen deswegen zunächst ausgelacht wurden.

«Alle 15 involvierten Gemeinden stehen wie ein Herz und eine Seele hinter dem Projekt.» Frank Hofer

Stichwort Nachhaltigkeit: Was bringt ein solcher Event tatsächlich?
Nause:
Wir positionieren die Stadt und die Region im besten Licht, die Bilder gehen um die Welt. Das wird uns zusätzliche Logiernächte einbringen. Ausserdem fördern wir in Bern den Velosport mit den sogenannten Pumptracks für die Kleinen oder mit den Verkehrsgarten-Parcours. So möchten wir als Stadt die Menschen wieder näher zum respektive aufs Velo bringen und dafür sorgen, dass sie nicht nur auf ihr Smartphone schauen. Unsere bereits laufenden Bemühungen sollen durch die Rad-WM verstärkt und beschleunigt, die Community vergrössert werden.

Seit der Fussball-EM hat sich die Welt verändert – Stichwort: Terrorismus. Wie sehen die neuen sicherheitstechnischen Herausforderungen aus?
Heeb:
Falls Bern den Zuschlag erhält, erleben wir hier eine riesige Party. Geändert hat sich vor allem die Situation im Crowd-Management – man denke an die Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010. Aber nochmals: Wir sind parat, haben bereits ein hohes Level erreicht und werden diese Menschenmas
sen bewältigen können. Uns stehen heute ganz andere Module als noch damals vor zehn Jahren zur Verfügung, um Gefahren entgegenwirken zu können.

Was wird den Zuschauerinnen und Zuschauern an der Rad-WM denn überhaupt geboten?
Hofer:
Die Gastronomie wird sehr ähnlich aussehen wie an der Euro08. Zu den Fanzonen: Die grösste Zahl der Fabian-Cancellara-Anhänger stammt aus Belgien, viele von ihnen werden hierher strömen. Auf dem Bernexpo-Gelände werden unter anderem Geschicklichkeitswettbewerbe- und Wettkämpfe für Kinder angeboten, es gibt Parcours, LiveMusik-Gigs. Entlang der Strecke findet über eine Woche lang ein grosses
Fest statt!

Radsport bedeutet für viele immer noch Doping.
Bei einigen ist das so, das stimmt. Andere sehen in diesem Sport aber vor allem eine grosse Faszination. Das Thema wird wohl nie ganz verschwinden, nicht zuletzt deswegen, weil manche immer wieder versuchen werden, zu betrügen. Da aber andere Sportarten wie etwa Biathlon oder ganze Nationen wie Russland in jüngerer Vergangenheit mehr Schlagzeilen punkto Doping gemacht haben, hat sich der Fokus vom Radsport zum Glück etwas wegverlagert. Und: Ein Eintagesrennen kann man auch heute nach wie vor ohne faule Tricks gewinnen.

2008 sorgte eine Art «Bier-Gate» für Schlagzeilen: Beizer durften nur noch Bier eines bestimmten internationalen Produzenten verkaufen. Werden die lokalen Anbieter diesmal besser berücksichtigt?
Heeb:
Wir haben die Guidelines damals mit den Gastronomen zusammen erarbeitet. Gewisse Grundsätze wie der gemeinsame Preis und das Jugendschutzalter wurden festgelegt, in vielen Bereichen stehen den Anbietern aber etliche Freiheiten offen. Ja, die Rad-WM 2024 soll für das lokale Gewerbe eine Chance sein. Nause: Bei einer Rad-WM wird es viel weniger Vorgaben geben. Die Uefa schrieb damals bereits den Biersponsor vor, das wird diesmal nicht der Fall sein. Hofer: Die Zielsetzungen sind hoch, wir wollen das Potenzial der regionalen Wertschöpfung optimal ausnutzen.

Als klar war, dass die Formel E in Bern ausgetragen wird, kam es zu einer heftigen Debatte, in der es nicht zuletzt um Umweltbedenken ging. Bloss: So viel unökologischer als die Rad-WM ist die Formel E gar nicht.
Nause:

Bei einem E-Prix muss die gesamte Strecke mit Betonelementen gesichert werden. Die Camions, die diese Elemente transportieren, verursachen einen gewissen CO2-Ausstoss, klar, denn es gibt noch kaum Elektro-Camions. Bei einem Velorennen hingegen haben wir es mit einer rollenden Sicherung, mit Streckenposten und allenfalls noch ein paar Gittern zu tun. Wichtig ist für mich, dass wir das Versprechen einer behindertengerechten Veranstaltung einlösen können. Und wie bereits angetönt soll das lokale Gewerbe zum Zug kommen: Bern ist der grösste Schweizer Bierbrauerkanton. Hofer: Die RadWM dauert acht Tage, durchgehend. Auf der Strecke selbst bauen wir mit einigen kleinen Ausnahmen gar nichts auf. Bei der Formel E wird sämtliches Material für eine deutlich kürzere Dauer hingestellt, was für ökologisch denkende Menschen schon ein Kriterium sein dürfte.

Sollte der Entscheid pro Zürich ausfallen – sehen Sie sich die Rad-WM trotzdem an?
Nause:
Wir sind gute Verlierer, vielleicht schaue ich mir das Ganze im Fernsehen an. Hofer: Eher nicht (lacht). Heeb: Mich würde das Handling aus sicherheitstechnischer Sicht interessieren, deswegen: ja, wahrscheinlich. Aber schweren Herzens.

Zum Schluss: Was für ein Velo steht bei Ihnen zuhause im Keller? Hofer: Es sind etwa vier, dafür besitze ich kein Auto: ein teures Mountainbike, ein Touren- und ein Rennvelo sowie ein Trainingsvelo. Nause: Ich habe ein relativ günstiges Mountainbike und fahre meistens durch den Steinhölzliwald sowie mit den Buben auf den Pumptracks im Weissensteinquartier. Heeb: Bei mir ist es das City-Bike. Ein sehr simples Ding. Hofer: Etwas Letztes will ich noch loswerden, das unbedingt im Bärnerbär stehen muss …

Natürlich, nur zu!
Die Schweizer Rad-Strassen-Weltmeister der letzten 20 Jahre stammen alle aus Bern: Fabian Cancellara und Marc Hirschi in der Kategorie U23. 2024 wird er einer der Topfavoriten sein – es wäre doch umso schöner, ihn diese Wettkämpfe zuhause vor bernischem Heimpublikum bestreiten zu sehen.

Yves Schott