Ab 1. Oktober wird mit Judith Pörksen Roder erstmals eine Frau die reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn leiten. Dem Bärnerbär verrät die Theologin, wie sie ein Stück Himmel auf Erden sucht und warum ihr das Label «oberste Reformierte» gar nicht gefällt.
Ihr herzhaftes Lachen fällt als Erstes auf. Es füllt den ganzen Raum der Kirche in Bern-Bümpliz, wo Pfarrerin Judith Pörksen früher Gottesdienste gestaltete. Nun wird sie als erste Frau in der Geschichte der Kantonalkirche Bern-Jura-Solothurn das Synodalratspräsidium übernehmen. Eine kleine Sensation. Sie selbst sieht sich dabei weniger als Anführerin, sondern als moderne Followerin Jesu. Ihr wichtigstes Motto: «Als Kirche müssen wir den unterschiedlichsten Menschen Heimat geben. Ich habe hier in der Berner Kirche Heimat gefunden.» Ihr makelloses Berndeutsch macht es fast vergessen: Die neue Präsidentin stammt aus Flensburg im Norden Deutschlands, studierte in Tübingen und Berlin. Die Liebe verschlug sie nach Bern. Aus der lutherischen Theologiestudentin wurde dann eine reformierte Vikarin in Moosseedorf. Ihre erste Tat: in der Migros Clubschule fleissig Mundart üben. «Ich wollte einfach, dass die Menschen mit mir ihre Herzenssprache reden können», begründet sie ihre Integrationsmassnahme. Heute hat sie auch den Schweizer Pass. Bis 2008 war sie Pfarrerin in Bümpliz, nahm als «Kirchenfrau» die verschiedensten Positionen ein. Seit 2018 leitet sie im Synodalrat das Departement Gemeindedienste und Bildung. Pörksen wohnt mit ihrem Mann, Pfarrer Hans Roder, in Bethlehem. Dem Multikulti-Stadtteil kann sie nur Positives abgewinnen. «Ob Sprachförderung, Müttertreff oder Strickcafé – hier können die Kirchgemeinden viel für die Integration beitragen.»
Was sie an der Spitze will
Als Frau fühlt sie sich bei den Reformierten gleichberechtigt, im Pfarramt sind Männer und Frauen gleichermassen vertreten. Tiefgreifende Sexismus-Probleme habe ihre Kirche nicht. Aber Pörksen gibt zu: Auch bei den Reformierten müssten Frauen ermutigt werden, Leitungspositionen zu übernehmen. Zu ihrer Kandidatur für die Kirchenführung motivierte sie ihre Begeisterung für die Gestaltungskraft der Kirche. An der Spitze will sie vor allem vernetzen: mit Politikern, Wirtschaftsvertretern und Organisationen. Doch sie wird auch oft in den 217 Kirchgemeinden von Bern-Jura-Solothurn zu Gast sein. «Die Beziehungspflege ist mein Hauptjob», sagt sie und gibt zu, dass das regelmässige Predigen ihr ein wenig fehlen wird. Zieht sie sich den Talar über, reagieren die Menschen anders auf sie. «Ich lasse mich gerne in spontane Glaubensgespräche verwickeln. In unserer Gesellschaft ist das sonst oft ein grösseres Tabu, als über Sex oder das Salär zu sprechen», stellt sie lachend fest. Besonders spannend findet sie den Austausch mit Anhängern anderer Religionen. «Die Nächstenliebe verbindet uns alle.»
Die Chance der Corona-Krise
Glauben leben, authentisch sein. Pörksen hat nichts gegen die Vorbildfunktion, die sie künftig innehaben wird. Nur einen Schuh mag sie sich nicht anziehen: den der obersten Berner Reformierten. «Ich bin eben eine echte Protestantin», begründet sie das und lacht wieder herzhaft. Denn seit der Reformation dürfe in Glaubensfragen jeder mitreden und nach Wahrheit suchen. Wenn Pörksen so lebendig über Kirche und Glauben spricht, springt die Begeisterung über. «Ich sehe mich als vernunftorientierte Gläubige. Wir Reformierten glauben, dass der Himmel zur Erde kommt. Und dieses Stück Himmel suchen wir alle gemeinsam. Ganz bodenständig.» Heimat bieten will sie in der Kirche zudem allen Engagierten. Denn in ihren Augen muss die Kirche Teil der Welt um sie herum sein, sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen – als Vorreiterin. «Wir können nicht nur Angebote schaffen, sondern müssen vielmehr danach fragen, was die Menschen bewegt. Freiwillige haben so viel Power, dem müssen wir mehr Raum geben.» So bot die Berner Kirche der Klimaallianz letztes Jahr in der französischen Kirche eine Zentrale an, weil die Bewahrung der Schöpfung ein gemeinsames Anliegen beider Gruppen ist. Pörksen will keine politisch motivierte Präsidentin werden, aber wird zu vielen gesellschaftspolitischen Fragen klar Stellung beziehen. Auf Kritik von allen Seiten ist sie gefasst. «Doch ich hoffe, dass wir mit guten Gesprächen Leute zusammenbringen können.» Aufstehen für das Leben, Verantwortung übernehmen, nahe bei den Menschen sein – all das hat sich Pörksen zur Aufgabe gemacht. Wobei Letzteres derzeit schwierig ist. «Auch nach dem Lockdown habe ich immer noch den Reflex, den Menschen kräftig die Hand zu schütteln.» Trotz fehlender Nähe zueinander sieht Pörksen die Corona-Krise als Chance. «Die Frage nach dem, was im Leben wirklich wichtig ist und was mich trägt, ist topaktuell.»
Michèle Graf