Der Bärnerbär hat sich mit dem Samichlous unterhalten. Mit dem echten natürlich. Denn es gibt nur einen Samichlous. Das weiss doch jedes Kind.
Vieles habe sich geändert in all den Jahren, die er nun schon als Samichlous in Berns Gassen unterwegs sei. Waren die Geschenke früher Tonbandkassetten, sind es heute Memory Sticks. Einst bereiteten Hausaufgaben Probleme, heute sind es Handyrechnungen. Doch eines bleibt immer gleich: Kinder. Sie sind, wie sie sind. Sie machen Unordnung, sie gehorchen nicht und essen nicht gerne Rosenkohl. Angst müsse man vor ihm aber nie haben, sagt der Samichlaus. Auch wenn Kinder manchmal weinen, wenn er durch die Tür schreitet. «Oft werden wir halt einfach als Erziehungsmassnahme missverstanden: Wenn du nicht folgst, dann kommt der Samichlous und nimmt dich in seinem Sack mit.» Zudem habe der Schmutzli eine Rute dabei, mit der man Buben und Mädchen versohlen könne. «Diesen Kindern sagen wir: Stell dir einmal vor, wir müssten jedes Kind mitnehmen, das nicht immer artig ist. Da wäre ja kein Platz mehr für Geschenke im Sack.» Die Rute sei sowieso nur dazu da, um sich gegenseitig Schnee vom Chlousegwand zu wischen. «Das führen wir den Kindern dann jeweils auch vor.»
«Wer will schon mitten in der Nacht Nuggis kaufen gehen?»
Ganz wichtig: Kinder müssten wissen, dass der Samichlous nicht unfehlbar sei. «Deshalb setzen wir uns immer hin, wenn wir zu Besuch kommen. Der Samichlous darf nicht als grosse, übermächtige Gestalt erscheinen. Er ist ein Freund, der vorbeikommt, wenn er Zeit hat. Einmal im Jahr. Und jedes Kind weiss ganz genau: Es gibt nur einen Samichlous. Den ihren. Übrigens mag selbst der Samichlous keinen Rosenkohl. Bloss halte ihn der Schmutzli halt doch immer mal wieder an, drei Stück vom bitteren Wintergemüse zu essen. Deshalb hält er für Kinder seinen eigenen Chlousetrick bereit: «Esst die drei Stück Rosenkohl gleich zu Beginn des Abendbrots. Spült den unbeliebten Geschmack mit ganz viel Wasser runter und geniesst danach den Rest des Essens ungestört.» Wenn er dann das Haus nach 45 Minuten wieder verlässt, weinen die Kinder erneut. Weil der Samichlous nicht länger bleiben kann. Sowieso seien es am Ende nur zu oft die Eltern, die etwas Erziehung vom Samichlous bräuchten. «Wenn mir ein Kind alle seine Nuggis hinhält, weil das die Eltern so fordern, dann frage ich: ‹Willst Du mir die denn wirklich alle geben?›» – «Sag ja», tönt es dann manchmal von den Eltern aus dem Hintergrund. «Ich spreche nun mit deinem Kind», ermahnt der Samichlous dann die Erwachsenen. «In so einem Fall legen wir jeweils beim Verlassen des Haushalts einen Nuggi zurück in den Milchkasten. Wer will schon in der Adventszeit mitten in der Nacht Nuggis kaufen gehen?» Er sagt es mit einem Augenzwinkern. Als der Samichlous vor einigen Jahren bei einer Familie zu Besuch war, erfuhr er, dass die Kinder ihre Jacken einfach in die Ecke werfen, wenn sie nach Hause kommen. «Ich habe die Kinder gefragt, weshalb sie ihre Jacken nicht einfach aufhängen.» Die Kinder erklärten, ihre Garderobe hänge eben viel zu hoch. Nach einer kurzen Prüfung haben der Samichlous und Schmutzli beschlossen: «Diese Garderobe hängt tatsächlich zu hoch, sie muss versetzt werden.» Der Vater löste das Problem im Folgejahr und die Kinder haben ihre Jacken nie mehr einfach so hingeworfen.
Alternativ, braun-grün-rot
Jahrzehnte an Erfahrung sind unverkennbar, wenn man den echten Samichlous dann einmal trifft. In einem dicken Buch aus Leder gebunden sammelt er Jahr für Jahr Geschichten, die das Leben schreibt. Oft entdeckt er sie im Alltag, in den Sommermonaten, wenn niemand bemerkt, dass der Samichlous auch dann unter uns weilt. Beziehungen pflegt er vom Babybauch bis ins gestandene Alter. Sieht hie und da einen breitbeinigen Türsteher vor einem Berner Lokal stehen, der noch im Kindesalter den Mut nicht aufbrachte, ein Värsli vorzutragen. Doch der Geniesser schweigt. «Nur der Schmutzli weiss im Sommer, wer und wo ich bin.» Spurlos ging die Zeit auch am Samichlous nicht vorbei. Er besitzt ein Handy und selbst via Skype hat er schon mal seinen alljährlichen Besuch weit weg in eine Stube von Amerika getragen. Ein Kind habe ihm sogar einmal geraten, ein Tablet zu kaufen. Das sei viel praktischer als sein grosses, dickes Buch. Da könne er dann einfach den Namen der Kinder aufrufen und verfüge über alle Informationen, immer und überall. «Das ginge mir dann aber zu weit, dann könnte ich ja gleich als Hologramm auftreten», spinnt der Samichlous den Gedanken zu Ende. Zu guter Letzt ist er denn am stolzesten auf die Tradition, in der er verwurzelt ist: die Herkunft in Kleinasien, den Namen aus der griechischen Sprache und die Heimat im hohen Norden. Der Samichlous ist in vielen Weltkulturen verankert. Und er ist auch an weltlichen Themen interessiert. Er bezeichnet sich als links-demokratisch, alternativ, braun-grün-rot. «Einige Kinder wünschen sich von mir und Schmutzli, dass wir etwas gegen das Unheil in der Welt tun.» Wäre er so mächtig, der Samichlous würde Menschen tadeln, die Wasser predigen und Wein trinken. Auch der Weihnachtsmann sei ihm nicht ganz geheuer. Der sei so ein Amerika-Import wie «Halloween». Da könne er nur sagen: «Santa First, das gibts bei uns nicht.»
Jürg Federer