Diskriminierung, Gewalt und Hassbotschaften aufgrund der sexuellen Orientierung – die erweiterte Anti-RassismusStrafnorm will das demnächst unter Strafe stellen. Joel aus Bern hofft, dass das neue Gesetz vom Stimmvolk am 9. Februar ein Ja bekommt.
Wach blicken seine Augen unter den braunen Locken hervor. Schwarzer Hoodie, schüchternes Lächeln. Joel, 16, geht aufs Gymnasium, will Psychologie studieren, hält sich mit Joggen fit. So weit, so normal – und doch ist seine Art zu leben für manche Menschen ein Stein des Anstosses. Weil Joel offen auf Männer steht. «Ich bin ich. Meine sexuelle Orientierung ist angeboren, wie meine Haarfarbe», sagt er ohne Umschweife. Seit seinem Coming-out vor drei Jahren hat der junge Mann einiges erlebt. «Mein enges Umfeld ahnte es schon, dass ich schwul bin. Trotzdem brauchte ich Mut, zu sagen: ‹So bin ich und so will ich auch gesehen werden.›» Seine Eltern und sogar die Grosseltern reagierten gelassen. Doch männliche Freunde wandten sich von ihm ab. «Dabei war ich die gleiche Person wie zuvor», wundert sich Joel. In seiner damaligen Schule zeigte er seine Homosexualität dann nicht offen. Er wäre der einzige schwule Junge gewesen. «Ein paar Mitschüler sagten mir, wenn ich alleine zu einer bestimmten Bushaltestelle käme, würden sie mich zusammenschlagen.» Joel entlarvte dies zwar als leere Drohung. Angst hatte er nie, fragt sich aber bis heute: «Wieso haben solche Menschen etwas gegen mich?» Dann denkt er über Gruppendruck, Religion und gekränkte männliche Egos nach. Alles keine Gründe, den jungen Mann zu hassen, der gerne diskutiert, liest und tanzt. «Körperliche Gewalt habe ich zum Glück nie erlebt», erklärt Joel erleichtert.
Schwuler Bundesrat als Vorbild
Seit er auf dem Gymnasium ist, verschweigt er seine sexuelle Orientierung nicht mehr. Vier Monate ist er nun mit seinem neuen Freund zusammen. «Er wusste erst auch nicht, wie er es seinem Umfeld sagen soll», berichtet Joel. Das Schubladendenken und die Unsicherheit der Menschen nerven ihn manchmal. Joel wünscht sich, dass ein Comingout in Zukunft nicht mehr nötig ist, weil Homosexualität einfach dazu gehöre. Vorbilder sind gefragt. «Ein schwuler Bundesrat, das wäre doch mal ein Zeichen.» Für den wissbegierigen Teenager ist das Internet eine wichtige Quelle. Oft schaut er Dokumentationen und Argumentationsvideos, folgt Youtubern und Influencern. «Hasskommentare gegen Schwule lese ich auf Instagram jeden Tag.» Solche Beleidigungen nimmt er sich nicht zu Herzen. «Die Leute denken kaum darüber nach, was sie da posten.» Solange ihn niemand offen bedrohe, sieht Joel darüber hinweg. Leben und leben lassen. Offen schwulenfeindlichen Menschen begegnet er selten. Seine Heimat Bern erlebt er als offen. «Ich fühle mich hier sicher. Händchenhaltend mit meinem Freund durch die Stadt zu laufen, ist kein Problem.» Schwieriger ist es, wenn sie nachts auf Männergruppen treffen und sonst niemand auf der Strasse ist. «Ich kann ihnen ihre Einstellung nicht ansehen. Dann sind wir vorsichtiger.» Für die Abstimmung zur erweiterten Anti-Rassismus-Strafnorm am 9.2. will er Menschen dazu bringen, für einmal seine Perspektive einzunehmen. «Wenn ich zusammengeschlagen werde, kann ich den Täter bei der Polizei anzeigen. Vor Diskriminierung schützt mich bisher kein Gesetz.» Die erweiterte Strafnorm soll eine neue Sensibilität für seine Gruppe schaffen. Dass damit eine Minderheit besonders herausgehoben wird, ist Joel klar. Doch in seinen Augen brauchen homo- und transsexuelle Menschen diese Aufmerksamkeit, weil sie eine weniger akzeptierte Gruppe sind. Dass er beispielweise im Mannschaftssport Angst vor Diskriminierung haben müsse, zeige schon, dass die Schweiz Homosexuelle nicht überall voll akzeptiert. «Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sollte keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Und deshalb braucht es das Gesetz», meint Joel mit festem Blick. Demos sind ihm dafür zu radikal, aber im Sommer will er an der Pride in Zürich mitmachen. «Unsere Community muss immer wieder zeigen: ‹Wir sind da.›»
Ein Kind? Wieso nicht!
Die tolerante Schweiz akzeptiere verschiedene Lebensstile, doch bei drei Themen sieht Joel Nachholbedarf: «Blutspenden, Adoption und Ehe. Da sind wir immer noch nicht gleichgestellt. Ich finde es erschreckend, dass die Schweiz nicht so weit ist wie andere Länder.» Er kann sich gut vorstellen, später ein Kind zu erziehen. Dass es dafür Vater und Mutter brauche, findet er ein schwaches Argument. «Was ist dann mit Alleinerziehenden? Egal ob zwei Männer oder Frauen die Eltern sind, ein Kind braucht Liebe.» Er steht auf und wendet sich zum Gehen. Die Rückseite seines Hoodies zieren die Worte: «Grande Amore.»
Michèle Graf
ANTI-RASSISMUS-STRAFNORM
Am 9. Februar stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Änderung des Art. 261bis ab. Diese erweiterte Anti-Rassismus-Strafnorm würde es verbieten, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Wer deswegen zu Hass aufruft oder Propaganda verbreitet, soll ebenfalls bestraft werden können. Solche Handlungen werden bestraft, wenn sie in der Öffentlichkeit verübt werden, wenn sie Menschen absichtlich herabsetzen und wenn sie gegen die Menschenwürde verstossen. Gegner der Gesetzesänderung sehen darin eine Beschneidung der Meinungsfreiheit.