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Hier kann man seine Tanne noch selbst fällen

Seit Generationen verkauft Urs Sägessers Familie Weihnachtsbäume vom Wohlensee. Die Charaktertannen kann man hier nicht nur aussuchen, sondern auch gleich sägen. Ein Erlebnis im Winterwald.

Er ist Herr über mehrere Hundert Bäume verschiedenster Arten und Grössen. «Die genaue Anzahl weiss ich nicht. Das ist Natur», lacht Weihnachtsbaumproduzent Urs Sägesser inmitten seiner Plantage mit Blick auf den Wohlensee. Seit 1920 pflanzt seine Familie an diesem Standort Weihnachtsbäume an. Als damals die Aare für ein Wasserkraftwerk angestaut wurde und der Wohlensee entstand, schlug man für die Stromleitungen eine Schneise. Um die Kabel nicht zu gefährden, entstand darunter eine Weihnachtsbaumplantage.
So beschäftigen Urs Sägesser die nadeligen Gewächse schon sein ganzes Leben. Er hegt und pflegt mit seiner Frau Bernadette, Sohn Steve und seinen Mitarbeitenden die Bäume das ganze Jahr über. «Setzen, ab in den Liegestuhl und beim Wachsen zusehen? Das genügt nicht», so der Experte. Zwischen den Bäumen muss beispielsweise oft von Hand gemäht werden. Um Ausreisser zu vermeiden, bindet Sägesser auch den einen oder anderen Zweig zurück. Mehr Baumstyling gibts aber nicht. «Es sollen nicht alle gleich aussehen, die Bäume sind Lebewesen wie wir Menschen auch», sagt er. Zwei Spitzen, ein bisschen schief, buschig, hoch und schmal, kurz geraten oder unten breit. Warum nicht? «Wir verkaufen Bäume mit Charakter.»

Der Verkaufsschlager ist …
Einen solchen haben sich auch Michaela Guggisberg und ihre Kinder Yorrick und Marit aus Faoug ausgesucht. Mit kleiner Leihsäge bewaffnet, haben sie soeben eine stattliche Nordmannstanne erbeutet. «Es ist ein Erlebnis hier. Und wir sind an der frischen Luft», freut sich Michaela Guggisberg. Und wie wurden sie unter den fast unzähligen Exemplaren fündig? Yorrick schaut stolz unter seiner Samichlaus-Mütze hervor: «Wir haben genau den genommen, weil er einfach schön ist.» Urs Sägesser hilft der Familie beim Verpacken des Baums und nickt. «Jeder sucht sich den für ihn schönsten aus. Dann geht es für alle auf», so seine Philosophie. Wer sich trotzdem seinen Traumbaum sichern will, der kann auf dem Feld am Wohlensee auch im Herbst schon seinen Favoriten reservieren. Den ganzen Advent über verkauft Familie Sägesser Hunderte von Bäumen. Die nach Biorichtlinien gezogenen Tannen sind im Schnitt natürlich teurer als beim Grossverteiler. Eine Nordmannstanne von 1,80 Meter gibts hier für 72 Franken. Diese ist dann etwa sieben Jahre alt und wurde nicht künstlich gedüngt. Er züchtet Rottannen, Blautannen und Nordmannstannen. Während die günstige Rottanne oft von «Nostalgikern» gekauft werde und die Blautanne den besten Duft hat, ist die kräftige und kaum nadelnde Nordmannstanne der Verkaufsschlager. Gut gewässert und nicht zugespitzt kann man sie laut dem Züchter bis Ostern geniessen. «Fassen Sie mal an, die Nadeln sind weich», fordert Sägesser derweil die Kundschaft auf. Die nimmt oft auch weite Wege aus dem Seeland oder Oberland auf sich. Viele sind Stamm kunden, die auch das Erlebnis, selbst den Baum zu fällen, schätzen. Gerade fährt ein Vater mit seinen Söhnen vor. Urs Sägesser winkt: «Er war schon als Fünfjähriger hier, heute kommt er mit seinen Kindern.» Dieses Mal kann er ihnen keinen Punsch in der Scheune anbieten – aufgrund der Schutzmassnahmen.

Viele leisten sich dieses Jahr einen teureren Baum
Auch den Traditionsbetrieb trifft die Coronakrise. Der Verkauf auf Märkten und in der Stadt läuft schlechter, da die Menschen Ansammlungen meiden. Am Wohlensee hingegen verzeichnet Sägesser ein Plus. «Viele leisten sich dieses Jahr einen teureren Baum, weil sie zuhause bleiben und die Festtage nicht nur eine Pflichtübung sind. 2020 will man es umso mehr geniessen.» Und welcher Baum steht beim Weihnachtsbaumexperten selbst in der guten Stube? Sägesser lacht: «Na, meistens der, der hier am 24. hier übrigbleibt!»

Michèle Graf

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