
«Hier bin ich der Chef! Und wage es ja nicht, meinen Damen oder mir selbst nahe zu kommen», kommuniziert Hägar ohne Worte. Doch hat der 310 Kilogramm schwere Bulle in der Anlage der Moschusochsen wirklich die Hosen an?
Das laute, gurgelnde Grummeln geht einem durch Mark und Bein: Mit einem leicht schleppend erscheinenden Gang erscheint von links Hägar. Dabei hält er den Kopf leicht schräg, so dass das mächtige Horn direkt zum vermeintlichen Konkurrenten zeigt. Sein mächtiger Körper schiebt sich in der Blickachse auf die beiden weiblichen Tiere Helga und Maike. Seine Gestalt ist beeindruckend; nicht so sehr der Körpermasse wegen, sondern aufgrund der gedrungenen Form, den bis zu 70 Zentimeter langen Haaren, die bis zu den Klauen reichen können und dem grossen Kopf mit den helmartig über den Schädel geformten Hörnern. Hägar ist ein gebürtiger Däne und seit 2005 im Dählhölzli, also längst ein Berner. Er kam 2004 im Kopenhagener Zoo zur Welt. Hägar ist von ruhigem Gemüt und beschützt seine Damen. Während der Decksaison betrachtet er aber jeden als potenziellen Konkurrenten, auch die männlichen Gäste im Dählhölzli. Er liebt es zu baden und sich gemütlich im Winter einschneien zu lassen. In den letzten Jahren ist er deutlich ruhiger geworden und seine Bewegungen sind sehr gemächlich – nicht so beim Begatten der Weibchen.
Moschusochsen wie Hägar sind beeindruckende Wiederkäuer. Sie bewohnen die nördliche Tundra in Nordamerika und Grönland und wurden auch in Skandinavien angesiedelt. Mit den breiten Klauen versinken sie kaum im Schnee und das Haarkleid isoliert ausgezeichnet. Temperaturen bis minus 50 Grad lassen sie sprichwörtlich kalt – oder besser unbeeinträchtigt warm. Zur Deckzeit beeindrucken die männlichen Tiere durch einen imposanten Wettstreit: Die Bullen rasen in gestrecktem Galopp frontal aufeinander, die Schläge sind kilometerweit zu hören. Sie machen das nicht einmal oder zweimal. Nein. Bis zu zwanzig solcher Attacken sind schon gezählt worden.
Gefährliche Wiederkäuer
Der Moschusochse kennt nur den Wolf und den Bär als natürlichen Feind. Gegen beide setzt er sich zur Wehr und flüchtet nicht wie Antilope, Gnu oder Hirsch. Die stärksten Tiere stehen mit dem Kopf zum Feind zugewandt und greifen diesen mit kurzen heftigen Attacken an. Die furchtlosen Wiederkäuer gehören zu den wirklich gefährlichen Tieren im Dählhölzli. Sie würden sofort angreifen und auch Menschen an der Wand zerdrücken. Die Schieber und Riegel für die Sicherheit sind bei keiner anderen Anlage so stabil konstruiert wie bei den Moschusochsen.
Bei Geburt 10 Kilogramm
Besonders stolz ist die Crew des Tierparks auf die zahlreichen Jungtiere der letzten Jahre. Nach einer Tragzeit von achteinhalb Monaten erblicken die etwa 10 Kilogramm schweren Fellbündel das Licht der Welt. Die mit den Ziegen verwandten, wehrhaften Gesellen aus dem hohen Norden sind in der Schweiz einzig im Dählhölzli zu erleben.
PERSÖNLICH: HÄGARS DAMEN
Helga aus dem Zoo Kolmarden in Schweden ist seit 2005 im Dählhölzli die Chefin in der Anlage und «hat die Hosen» an! 2008 bezogen die Moschusochsen ihre neue Anlage. Hägar getraute sich damals nur wenige Meter aus dem Stall. Erst als Helga forsch voranschritt, folgte er ihr, um die neue Heimat zu erkunden. Helga hat bereits 11 Jungtiere im Dählhölzli geboren.
Maike ist wie Hägar eine gebürtige Dänin. Sie ist seit fast acht Jahren Teil der Moschusochsenfamilie im Dählhölzli. Maike ist ein vorsichtiger Charakter und getraut sich kaum einen Schritt zu machen, wenn ihr etwas eigenartig erscheint. 2013 musste der Tierpark bei ihr einen Kaiserschnitt durchführen, um ein totes Jungtier zu entwickeln. Trotzdem gebar Maike danach zwei Jungtiere, die sie auch erfolgreich aufzog.
Die Urbernerin Hanne wird im Mai jährig und ist der kleine Wirbelwind in der Anlage und kein «Mamihöck» mehr. Schon in den ersten Wochen war sie deutlich selbstständiger als alle ähnlich alten männlichen Jungtiere im Dählhölzli.
Bernd Schildger