Seit einem Jahr leistet der Berner Bänz Margot mit seiner kleinen Organisation Human Front Aid humanitäre Hilfe in der Ukraine. Zwischen Hoffen und Bangen will er seinen Beitrag leisten.
«Jetzt ist gerade wieder Stromausfall.» Bänz Margots Stimme am Telefon tönt dennoch nicht beunruhigt. In Odessa sind diese Blackouts Alltag. Während in anderen Städten der Ukraine Geschosse einschlagen, ist es hier ruhig, die Frontlinie sei derzeit stabiler. «Es gibt Orte, an denen man vergessen kann, dass Krieg ist. Die Parks sind offen, manche Kaffees, auch Alkohol wird wieder ausgeschenkt. Die Ausgangssperre ist später», sagt der Berner, der seit Anfang 2022 im Land ist.
In Eigenregie und mithilfe von Freunden hat er die Human Front Aid aufgebaut. Seitdem organisiert er unermüdlich Hilfsgüter und Busse, die Menschen aus den Frontgebieten in Nachbarländer oder in einen anderen Teil der Ukraine bringen. Auf diese Weise konnte er bisher 5700 Menschen und auch Tiere evakuieren.
«Die Geschichten der Menschen, denen ich hier begegne und versuche zu helfen, sind krass. Es geht um Leben und Tod.» Er berichtet von Flucht, Folteropfern und dem Sterben. «Neulich traf ich eine ältere Dame. Sie war aus ihrer Wohnung zum Einkaufen gegangen. Als sie zurückkam, war das Haus durch ein Geschoss zerstört und ihr Mann darin verbrannt.»
Der Flughafen war schon weggebombt
Der Helfer schildert, wie er in den Augen der Menschen das unerträgliche Leid und die seelische Verwüstung ablesen kann. Viele wissen gar nicht, wo sie Hilfe finden können. «Letzte Woche begegnete ich einem Ehepaar aus Cherson, dessen Sohn die Russen einfach mitgenommen haben. Es hiess: Ihr seht ihn nie wieder. Sie wissen jetzt nicht, ob er noch lebt.»
Seit 2014 ist Margot mit dem Land verbunden. «Damals kam ich das erste Mal in die Ukraine für eine Musikgruppe. Vorher war ich nie im Osten. Die Menschen sind gastfreundlich, respektvoll, die Musikvielfalt fantastisch.» Schon da war der Unterschied zwischen Arm und Reich gross, das Sozialsystem schlecht.
Als in der Nacht zum 24. Februar 2022 der Krieg ausbricht, wird Margot aus seinem Schlaf gerissen. «Schock und Panik», schildert er die ersten Stunden nach dem Angriff. «Ich wusste doch nichts von Krieg und die Menschen um mich herum auch nicht.» Der Flughafen ist schon weggebombt, Flüchtende werden angegriffen. Noch am gleichen Tag startet Margot seine Hilfe, teilt seine Erlebnisse auf Social Media. «Ich wollte erstmal meinen Freunden und Bekannten helfen. Heute sind einige von ihnen an der Front. Zum Glück ist noch keiner gestorben.»
Die ersten Wochen verbringt Margot in Moldawien, kehrt aber schnell nach Odessa zurück. Bald entsteht durch ihn ein Hilfsnetzwerk, heute ist er mit lokalen NGOs gut vernetzt, einige Freiwillige helfen ihm. «Ich bin ein Wilder in der Helferszene, lerne ständig dazu», lacht er. Freunde aus der Schweiz unterstützen mit Spenden und Know-how, Berner Politiker bilden das Patronatskomitee. Pausen gönnt Margot sich keine, seine Ereignisse hat er noch nicht reflektiert. «Wenn ich nicht da bin, kann ich nicht helfen, verpasse etwas. Ich nehme diesen Krieg persönlich.»
Sein neustes Projekt: Direktgeldhilfe. Organisationen finden für Human Front Aid Familien, die besonders stark betroffen sind; ob durch Kriegseinwirkungen, chronische Krankheiten oder Armut. An einem Help Point gibt Margot dann das Geld bar aus und dokumentiert: Pro Familie ist es nur ein winziger Zuschuss, aber einer, der hilft, irgendwie über die Runden zu kommen. Letzten Monat unterstützte er so 450 Familien. «Wer noch Geld hatte, hat es nun aufgebraucht. Andere waren zuvor schon in einer prekären Lage, können ihre Miete nicht mehr zahlen. Sie haben kein Geld für beispielsweise Krebsmedikamente. Andere kommen und haben nichts mehr.»
«Jetzt gehts an die Substanz»
Anders als manche grosse Hilfsorganisation kauft Margot nicht irgendwelche Waren ein, sondern gibt den Menschen Geld, damit sie bedarfsgerecht und lokal einkaufen können. «Die Preise für Lebensmittel sind zahlbar. Wir müssen hier die Wirtschaft unterstützen.» Er versteht dies als intelligente Hilfe. Das Modell macht in Odessa Schule, auch zwei andere ausländische Helfer agieren jetzt mit Direktzahlungen.
Doch was kann die Schweiz tun? «Sie sollte zumindest die Menschen mit schweren Krankheiten aufnehmen. Und man sollte respektvoll, empathisch und freundlich mit Geflüchteten sein.» Die abebbenden Spenden machen ihn betroffen, auch wenn er versteht, dass die Erdbebengebiete ebenfalls Hilfe benötigen. Human Front Aid steckt jeden Cent in die Hilfe, derzeit ist der Spendentopf fast wieder leer. Über die
militärischen Initiativen ist Margot bestens informiert, hofft, dass die Ukrainer die Russen in den nächsten Wochen in Schach halten oder ganz zurückdrängen können. «Jetzt geht es wirklich an die Substanz des Landes.» Etwa 20 Geschosse sind in seiner Nähe im Laufe der Monate explodiert. «Manche waren unglaublich laut und die ganze Gegend hat vibriert. Andere waren nur dumpfe Schläge. Am Anfang schlotterte ich.»
Heute sind die Ängste noch da, aber er nimmt die Situation inzwischen cooler und hat sich vorgenommen zu bleiben, bis der Krieg zu Ende ist.
Bis dahin hat er sich in der absurden Realität irgendwie eingerichtet. «Wenn ich zu den Menschen fahre, nehme ich Äpfel, pflanzliche Relaxpillen, die ich eigentlich mal mir hatte mitbringen lassen, und Taschentücher mit.» Ganz wichtig ausserdem: Schleckzeug für die wartenden Kinder. «Die wirken Wunder.» Diese Momente und die Dankbarkeit geben Margot Kraft zum Weitermachen. Die Lage sei nicht hoffnungslos, aufgeben keine Option.
Michèle Graf
Bänz Margot (45), ledig, stammt aus dem Berner Mattequartier und wuchs in einer Musikerfamilie auf. Er ist Kulturschaffender und Musiker.
Spendenaufruf
Wer die Arbeit von Bänz Margot und Human Front Aid unterstützen möchte, kann über die Website humanfrontaid.org spenden.
IBAN: CH900023523530804540J
BIC: UBSWCHZH80A
Verwendungszweck: Yes we CAN
Name: Human Front Aid | Riedernstrasse 50 | 3027 Bern
Bank: UBS Switzerland AG | Bubenbergplatz 3 | 3000 Berne 94