Lorenz Hess will den Kanton Bern künftig im Ständerat vertreten. Der langjährige Nationalrat im Gespräch über die integrative Kraft des Laufens, über seine Vision eines künftigen Gesundheitswesens, und warum es eine nationale KMU-Strategie braucht.
Lorenz Hess, man sieht Sie oft im Worblental beim Lauftraining. Waren Sie heute schon auf der Jogging-Strecke?
Ja. In der Regel gehe ich 2 – 3 Mal wöchentlich Joggen.
Sie sind ein passionierter Läufer. Warum? Was macht für Sie das Laufen aus?
Laufen tut mir gut, körperlich wie auch mental. Beim Laufen draussen in der Natur sind wir nahe bei uns selbst. Das ist gut und tut gut. Wenn ich sehe, wie viele Menschen jeden Alters auch joggen, erkenne ich, dass es sehr vielen genauso geht wie mir.
Sie joggen nicht nur, sondern nehmen auch an Laufanlässen teil. Geht es Ihnen dabei um den Wettbewerb, darum, sich mit andern zu messen?
Leider konnte ich heuer ausnahmsweise nicht am Grand Prix teilnehmen. Um’s Messen geht es im Sport immer, wichtig ist aber auch, sich ein Ziel zu setzen und darauf hin zu arbeiten. Aber bei Lauffesten oder früher beim Triathlon geht es auch um das Erlebnis, um das Miteinandner. Wenn ich beim Einlaufen schon die verschiedenen Generationen sehe, die verschiedenen Nationalitäten, dann sehe ich auch die integrative Wirkung des Laufens für unsere Gesellschaft.
Holen Sie sich beim Lauftraining den langen Atem für die Politik?
Gestaltungswille ist die Grundlage für die politische Arbeit. Wer sich politisch engagiert, egal auf welcher Stufe, kommunal, kantonal oder national, muss eine Vorstellung für unsere Gesellschaft entwickeln und ein Zukunftsbild für unsere Gesellschaft zeichnen. Um Entwicklungen nicht nur hinzunehmen, sondern zu beeinflussen, ist sehr oft ein langer Atem nötig. Dann gleicht die Politik einem Marathon, bei dem es wichtig ist, dran zu bleiben und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Oft aber drängen Probleme, dann müssen wir mit einem Sprint zu Lösungen kommen. Diese Balance von Marathon und Sprint zu halten und immer die besten Lösungen für uns als Gesellschaft ins Ziel zu bringen: Das ist mein Anspruch als Politiker.
Gemeinsam nach den besten Lösungen suchen: Was heisst das?
Die Partizipationsmöglichkeit und die Partizipationsbereitschaft sind in der Schweiz fundamental. Wir wissen, dass wir Veränderungen mitprägen können. Gerade jetzt befinden wir uns in einem allgemeinen Wandel, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft. Ich will mit meinem politischen Engagement diesen Wandel nicht einfach mitgehen, sondern ihn aktiv mitgestalten.
Sie sind ein «Finisher»? Ein Läufer also, der die Strecke innerhalb eines gesetzten Zeitlimits schafft? Im Sport und in der Politik?
Ja, der Weg alleine ist nie das Ziel. Das Ziel ist das Ziel! Erfolg ist immer an das Erreichen eines Ziels geknüpft. Das ist auch im Geschäftsleben so.
Ihr Ziel jetzt: Als langjähriger Nationalrat möchten Sie am 22. Oktober in den Ständerat gewählt werden.
Ja, das ist meine Ambition. Wenn ich in den Ständerat gewählt würde, würde ich meine Strategie im Vergleich zu dem, was ich derzeit im Nationalrat tue, nicht ändern. Ich versuche, zukunftsfähige Kompromisse und damit tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Ambition ist das richtige Stichwort auch im Umgang mit den Herausforderungen im Gesundheitswesen. Sie präsidieren den Verwaltungsrat der Visana-Gruppe. Wie lassen sich die Errungenschaften in unserem Gesundheitssystem sichern und die Prämien mindestens stabil halten? Ein politischer Marathonlauf?
Die Prämien für die Krankenversicherung machen inzwischen für die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung einen spürbaren Teil des Einkommens aus. Es liegt an allen Beteiligten – also an der Politik, den Leistungserbringern, den Krankenversicherern und auch den Versicherten – Lösungen aber auch Kompromisse zu finden. Das Denken und Handeln, das Fehlanreize fördert, muss aufgebrochen werden. Die Fehlanreize haben Qualität und Kosten aus dem Lot gebracht. Patientinnen und Patienten erreichen mit den Prämien die Grenzen ihres Familienbudgets. Die kantonalen Töpfe für die individuellen Prämienverbilligungen müssen laufend vergrössert werden. Was die Prämienzahler nicht mehr stemmen können, müssen die Steuerzahler übernehmen. Ein Paradigmwechsel tut Not.
Sie geben sich selber den Steilpass.
Wir müssen alternative Versicherungsmodelle attraktiver machen und Regulierungen abbauen. Auch kommen wir nicht darum herum, die Effizienz zu steigern und Leerläufe und Mengenausweitungen systematisch zu bekämpfen. Es besteht eine Überversorgung, oft werden unwirksame Leistungen zu überhöhten Preisen verrechnet. Das müssen wir ändern.
Was heisst das konkret?
Wir brauchen nicht nur Pflästerli-Politik, sondern müssen uns politisch auf eine klare Vorstellung eines gesamtheitlichen Gesundheitswesens einigen, das uns auch in Zukunft trägt und abstützt. Ein wachsender Teil der Bevölkerung kann die Prämien jedoch nicht mehr bezahlen. Das ist die Realität! Wir müssen aufpassen und dürfen den Kosten-Gap im Gesundheitsweisen nicht immer noch mehr auf den Staat überwälzen. Denn damit streuen wir uns Sand in die Augen. Wir brauchen ein Gesundheitswesen, in dem sich alle dafür einsetzen, ohne Qualitätseinbussen die Kosten für die Versorgung zu minimieren.
Sie wollen das Gesundheitswesen verändern?
Transformieren! Wir brauchen im Gesundheitswesen neue, zukunftsfähige Ansätze und den Mut, diese neuen Wege zu gehen. Wir müssen ein neues Zeitalter im Schweizer Gesundheitswesen einläuten und zeigen, dass qualitativ hochwertige Medizin auch in Zukunft bezahlbar sein wird. Das müssen alle beteiligten Partner endlich einsehen. Denn die «Verstaatlichung» unseres Gesundheitswesens und der Ausbau des administrativen Apparates dürfen nicht zu einer Alternative werden. Deshalb lancieren wir zusammen mit dem Kanton Bern nächstes Jahr die erste integrierte Versorgungsregion im Norden des Kantons. Es gibt genügend Beispiele aus dem Ausland, die zeigen, dass damit die Kosten merklich gesenkt werden können. Denn bei allen Herausforderungen sollten wir nicht vergessen, dass wir in der Schweiz eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, mit einer hohen Lebenserwartung und einem sehr raschen und nahen Zugang zu medizinischen Leistungen.
Und welche politischen Themen müssen wir im Sprint-Tempo angehen?
Wir müssen unser Verhältnis zur EU auf vertragliche Beine stellen, so wie das wichtige Handelspartner tun. Weiter müssen wir wirksame Massnahmen für den Klimaschutz und die Energieversorgung umsetzen. Und schliesslich braucht der Bund eine eigentliche KMU-Strategie. Wir stärken bewusst unsere Hochfinanz, unsere Pharma-Standorte, unsere Tech-Cluster. Doch wir vergessen sehr oft unsere KMU. Unsere gesunden KMU aber sind das eigentliche Rückgrat der Schweizer Wirtschaft, sie sorgen für Wachstum und Fortschritt. Mit ihnen können wir nachhaltige, verantwortungsvolle Werte um- und durchsetzen. Diesem Umstand müssen wir mit einer KMU-Strategie Rechnung tragen. Und damit attraktive wirtschaftliche Rahmenbedingungen sicherstellen.
Können Sie als Läufer einen Erfolg auch geniessen? Oder ist nach dem Lauf immer schon wieder vor dem Lauf?
(Lacht) Einen Erfolg zu geniessen, ist wichtig. Sich auf den Lorbeeren auszuruhen, entspricht mir aber nicht. Weder im Sport, noch in der Politik.
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PERSÖNLICH
Lorenz Hess, geboren am 28. Juni 1961 in Stettlen, gehört als langjähriger Nationalrat (Die Mitte) zu den profilierten Gesundheitspolitikern der Schweiz. Er hat ausgewiesene Führungserfahrung in der Privatwirtschaft, als Präsident des Verwaltungsrates der Visana-Gruppe und als Gemeindepräsident von Stettlen. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.