Mit Jahrgang 1913 erlebte sie die Spanische Grippe sowie den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Wir haben Emilie Kunz-Keller, die 74 Jahre in der Stadt Bern wohnte, im AlterszentrumAlenia in Gümligen besucht.
Im geräumigen, hellen Zimmer des Alterszentrums Alenia empfängt uns eine schlanke, sehr gepflegte ältere Dame: Emilie Kunz-Keller, 107-jährig. «Sie legt viel Wert auf ihr Äusseres», sagt Pflegehelferin Pamela Fridhi, «sie erinnert mich manchmal an die Queen von England!» Die Worte von Emilie Kunz kommen nicht immer ganz spontan, das Gehör und die Sehkraft haben nachgelassen, aber mit Hilfe ihrer Tochter Beatrice Wirz (75) beantwortet sie alle unsere Fragen und erzählt Anekdoten aus ihrem langen Leben.
Blumen und schwarze Schokolade
Als Lehrer unterrichtete der Vater die kleine Emilie in seiner Klasse. Daran erinnert sie sich aber nicht mehr gerne. «Es war schlimm, ich musste die Klasse wechseln und zusammen mit meiner älteren Schwester fuhr ich fortan jeden Tag mit dem Zug ins Nachbardorf Seon und besuchte dort die Schule.» Später, als gelernte Telegrafistin, arbeitete die junge Emilie Keller in der Post von Reinach. Aus dieser Zeit gibt sie gleich eine Anekdote zum Besten: «Die Tochter eines reichen Zigarrenfabrikanten sandte aus England einen telegrafischen Hilferuf mit folgendem Wortlaut an ihren Vater: ‹Vater, heirate armen Schlucker, bitte schicke Geld!›, wo- rauf deren Vater zurücktelegrafierte: ‹Heirate armen Schlucker, Vater schickt kein Geld!›»
Mitten im Zweiten Weltkrieg machte sie Bekanntschaft mit dem «Pösteler» von Beinwil. «Der gefiel mir und da wusste ich: Den muss ich nehmen!», erzählt sie lachend. Es klappte, 1942 wurde geheiratet und das Ehepaar zog nach Bern, wo der Gatte in der Bundesverwaltung arbeitete.
Seit 2015, nach einem Sturz mit Oberschenkelhalsbruch, wohnt Emilie Kunz nun im Alterszentrum Alenia in Gümligen. Kürzere Strecken legt sie mit dem Rollator zurück. Für das Personal hat sie nur Lob übrig: «Hier werde ich verwöhnt, sie lesen mir jeden Wunsch von den Lippen ab.» Sonderwünsche habe sie aber nie, sagt Pflegerin Pamela Fridhi. «Sie ist jeden Tag gut drauf, genügsam und fragt mich regelmässig, ob ich diesen oder jenen Artikel in der Zeitung gelesen hätte.» Blumen liebe sie über alles, «aber sie bestimmt selber, wann ich die Blumen entsorgen darf», lacht Fridhi. Auch schwarze Schokolade verschmähe ihre Mutter keineswegs, verrät Tochter Beatrice Wirz: «Sie hat immer welche in der Schublade.» Ihre Mutter sei stets sehr tolerant und dienend gewesen, erinnert sich Beatrice Wirz. «Nur wenn ihr einer meiner Freunde nicht genehm war, gabs Widerstand!», schmunzelt sie.
Beim Abschied bedankt sich Emilie Kunz für das Gespräch, wünscht uns gute Gesundheit und prophezeit: «Denken Sie daran – es wird alles gut!» Wir glauben ihr. Wenn es jemand wissen muss, dann wohl sie.
Peter Widmer