Chris 8

«In Bern wird es wieder Jungbären geben»

Bernd Schildger präsentiert in seinem Buch «Mensch, Tier!» auf unterhaltsame Art seine eigenwilligen Ansichten über Tierwohl und Tierhaltung. Der Bärnerbär hat nachgefragt und erhielt vom Direktor des Tierpark Bern Antworten, die zwischen Rhone und Rhein für Diskussionsstoff sorgen werden. Das Wichtigste für uns hier an der Aareschlaufe: Es soll wieder Jungbären geben!

Der Titel Ihres Buches «Mensch, Tier!» ist ebenso vielsagend wie nichtssagend.
(Lacht) Da öffnen Sie den Fächer weit. Aber Sie mögen recht haben. Ja, was soll dieser Titel? Er ist ein Ausdruck meines Unbehagens, wenn es um die gesellschaftliche Diskussion über unser Verhältnis zu Tieren geht, doch ich benutze lieber das Wort «fremdeln».

Sie fremdeln also, wollen sich jedoch nicht aus der Diskussion raushalten?
So ist es, denn die Diskussion über das Verhältnis Mensch-Tier scheint sich immer mehr von der Realität des Tieres weg zu bewegen. Viele Menschen betonen mit beinahe messianischem Eifer, wie unser Verhältnis zu Tieren zu sein hat und verlieren dabei das Tier ganz aus den Augen.

Und Sie wissen, was gut ist für das Tier?
Nein, ich weiss nicht, was wahr ist, was richtig ist, was man tun sollte, um in unserem Verhältnis zum Tier gut zu sein. Mit dem Buch versuche ich den Stellenwert des Tieres in der heutigen Gesellschaft zu ergründen und die zunehmende Entfremdung von Mensch und Tier darzustellen. Und ich möchte einen Weg vorstellen, wie man ohne Beizug von selbst ernannten Fachleuten beurteilen kann, wie es dem Tier geht.

Da bin ich als Hundehalter gespannt. Der Tierpark-Direktor, der sich vornehmlich mit wilden Tieren befasst, kommt in seinem Buch auf den Hund, auf den Haushund…
Es gibt keine Tierart «Haushund». Das wird oft so hingesagt, doch es gibt nur zwei wesentliche Unterschiede, welche den Wolf und den Hund unterscheiden: das Gehirn und die Verdauung. Der Hund hat die Fähigkeit zum Zusammenspiel mit uns Menschen entwickelt sowie die Fähigkeit zur Verdauung von Stärke. Die Veränderung des Wolfes zum Hund basiert also vermutlich auf einer Anpassung an Nahrungsressourcen als Müllschlucker des Menschen. Doch im Innersten blieb der Hund seinen Artgenossen zugetan. Achten Sie einmal darauf, wie Ihr Hund bei der Wahrnehmung eines anderen Hundes reagiert. In der Regel wird er Sie als partnerschaftlichen Besitzer vergessen. Apropos vergessen: Viele Hundehalter vergessen, dass der Hund ein Tier ist und können sein Verhalten nicht richtig deuten.

Wenn Sie den Unterschied zwischen dem Wesen des Menschen und des Tieres derart betonen, drängt sich die Frage auf: Darf der Mensch Tiere in Zoos einsperren?
Ja, es kommt einfach darauf an, wie der Mensch die Tiere hält oder einsperrt, wie Sie sagen. Zoos waren zu Beginn ihres Daseins vor Jahrhunderten ein Zeichen der Macht, so sind auch die Bären in Bern eine Erinnerung an die Macht des «alten Bern». Später wollte man exotische Tiere aus fremden Lebensräumen den Menschen zur Belustigung präsentieren. Heute jedoch ist es die Aufgabe des Zoos, die Tiere artgerecht den Menschen näher zu bringen.

Der Zoo dient also allein der Lebensqualität der Menschen?
Ja! Den Zoo braucht es nicht für die Wissenschaft oder die Arterhaltung. Den Zoo braucht es, weil der Mensch das Tier braucht, um es nicht als wichtigen Teil seines Bewusstseins zu verlieren. Und wenn die Tiere Teil unseres Bewusstseins bleiben, dann ist dies indirekt auch gut für die Tiere.

Wäre nicht das Ziel, eines Tages auf die Existenz von Zoos verzichten zu können?
Die Entwicklung der Bevölkerung geht mit der Vernichtung von Naturräumen einher. Den Zoo braucht es nur dann nicht mehr, wenn alle Menschen in naturnaher Umgebung leben würden. Das ist wenig wahrscheinlich.

Wann ist ein Zoo ein guter Zoo?
Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es den Tieren gut geht. Wenn sie das nicht haben, dann ist der Zoo so gut wie tot.

Wie kann der normale Besucher beurteilen, ob es einem Tier im Zoo schlecht geht?
Im dritten Teil meines Besuches behandle ich dieses Thema: Man muss überlegen: Was sind die Ansprüche des Tieres? Und zwar nicht die, die wir abstrakt in unserem Geiste entwickeln, sondern die, die sich aus seiner Biologie ergeben.

Was heisst das?
Zum Beispiel das Bedürfnis nach den menschlichen Grundrechten, davon weiss ein Schimpanse nichts. Das ist kein echtes Bedürfnis eines Schimpansen. Aber in einer Gruppe zusammen leben zu können, tagtäglich gefordert zu sein, ohne überfordert zu sein, eine artgemässe Fütterung, eine Umgebung, die den Klimaverhältnissen des ursprünglichen Lebensraumes der Tiere entspricht…

… das ist in Mitteleuropa nicht möglich, wir haben hier – wenigstens noch nicht – kein Klima für Schimpansen oder afrikanische Elefanten!
Es ginge, wenn die Innenanlage für das Winterhalbjahr gleich gross ist wie die Aussenanlage für das Sommerhalbjahr. Und wenn ich das klimatische Kriterium ernst nehme, muss ich kein Super-Fachmann sein, um zu beurteilen, welche Zooanlagen geeignet sind und welche man zumachen müsste.

Das ist wunderbar zwischen den Zeilen Klartext gesprochen. Dann sollten wir hier in Mitteleuropa ausschliesslich Tiere präsentieren, die aus unserem Lebensraum stammen?
Einerseits das oder dann muss man eben Räume schaffen, die gross genug sind, um die anderen Lebensräume zu simulieren. Der Aufwand dafür ist riesig, das kostet viel Geld, man muss bereit sein, das Risiko auf sich zu nehmen. Zum Beispiel unser Meerwasser-Aquarium im Tierpark, da haben wir aus 19 kleinen Aquarien ein einziges Grosses geschaffen, dieses Riff-Aquarium ist im Unterhalt unsere teuerste Tieranlage.

Apropos Meerwasser-Aquarium: Das in Basel vom Zoo geplante Grossaquarium namens Ozeanium ist ausgerechnet in der Stadt, wo der sogenannte Zolli als eine heilige Kuh gilt, sehr umstritten. Der Zoo Basel sagt, dass beim Ozeanium die Sensibilisierung der Bevölkerung für den Zustand der Meere im Vordergrund steht und vor allem der Bildung dient. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich kann das nicht beurteilen, ich bin nicht der Projektleiter des Ozeanium in Basel.

Sind Sie froh darüber?
(lacht) Ja.

Weshalb?
Weil ich davon überzeugt bin, dass Masse nicht gleich Klasse bedeutet. Die Berner Idee «Mehr Platz für weniger Tiere» ist tatsächlich mit Inhalt beseelt und deshalb klasse. Ich empfinde es als Kompliment, wenn die Besucher bei uns sagen, dass sie den Fischotter nicht gesehen haben. Das bedeutet, dass sich bei uns die Tiere zurückziehen können, wie sie das in der Natur draussen auch machen können. Ich habe keine Lust auf Ausstellung der Tiere, ich halte das für überholt und altmodisch. Eine neue Idee für ein Meerwasser-Grossaquarium zu entwickeln, ist sehr anspruchsvoll. Meist kopiert einer vom anderen, das finde ich langweilig. Hingegen gefällt mir z.B. das Aquatis in Lausanne, denn dahinter steckt die Idee, den Verlauf der Rhone vom Gletscher bis zum Mittelmeer aufzuzeigen. Da lernt man einiges über Tiere, Menschen und die Umwelt.

Wie sieht die Zukunft des Tierparks Bern aus?
Es wäre sinnvoll, den ganzen Dählhölzliwald zu einer einzigen Tieranlage zu machen. Der Tierpark schützt damit den Wald für die nächsten Generationen vor Abholzung und Zubetonierung.

Und wie sieht die Zukunft des Bären in Bern aus? Werden hier auch in Zukunft Bären leben und wird man wieder einmal Jungbären sehen können?
Der Bär gehört zu Bern und hat in Bern eine Zukunft! Und es wird auch möglich sein, wieder einmal Jungbären zu erleben, doch dafür benötigen wir mehr Platz und eine richtig gute Idee. Am Jubiläumsfest 10 Jahre BärenPark am 19. Oktober können wir hoffentlich unsere Ideen präsentieren, mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen…

Matthias Mast

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge