Jörg Beckmann, Direktor der Mobilitätsakademie des TCS, lässt keine Zweifel offen: Die Mobilitätszukunft gehört den Elektrofahrzeugen, und zwar schon sehr bald.
Mit welchen Verkehrsmitteln sind Sie persönlich unterwegs?
In den letzten Jahren am liebsten mit dem elektrischen Lastenvelo. Es ist sehr praktisch, damit die Kinder transportieren zu können. Zweimal die Woche benütze ich den öffentlichen Verkehr, zweimal das Auto und einmal radle ich mit dem Rennvelo nach Bern und zurück – vor Corona, wohlgemerkt!
Sie sagten einmal zu Ihrer Tätigkeit in der Mobilitätsakademie: «Wir prognostizieren die Zukunft nicht – wir gestalten sie!» Das tönt vorsichtig.
Eine Prognose, Forecasting, ist die Weiterführung dessen, was in der Vergangenheit passiert ist, also die Fortführung eines Trends. Prognosen sind eigentlich nur Weitererzählungen. Spannender sind Visionen, und weil wir Visionen haben, machen wir keine Prognosen. Unsere Vision ist eine soziale, ökonomische und ökologisch nachhaltige Mobilität. Deshalb engagieren wir uns seit der Gründung der Akademie für die Elektromobilität.
Was gehört für Sie alles zur Elektromobilität?
Wir sehen fast bei jedem Verkehrs-träger eine Elektrifizierung – vom Velo bis zum Fluggerät. Ich denke an die Mikromobilität mit E-Bikes und E-Trottinetts, an Alltagsautos und Sportwagen, an kleine Lieferwagen und grosse Camions. Aber auch an die Busse des öffentlichen Verkehrs, die heute oft noch mit Diesel herumfahren. Vielleicht gehört bald schon die Urban Air Mobility dazu mit ih-ren Lufttaxis und Lieferdrohnen. Im Landverkehr werden wir schon bald nur noch vom Strom als alleinigen End-Energieträger abhängig sein, es wird alles (teil-)elektrisch!
Ihre Mobilitätsakademie spricht unter anderem von «Demotorisierung urbaner Verkehre und einer Renaissance des Velos». Konkret?
Die städtische Verkehrspolitik setzt seit Jahren ganz klar auf die Förderung der aktiven Mobilität. Wir sprechen nicht mehr von Langsamverkehr, denn wir sind heute mit dem Velo in der Stadt deutlich schneller unterwegs als mit dem Auto. So erlebt das Velo eine Renaissance, welche auf die Elektrifizierung und Diversifizierung des Velos zurückzuführen ist. Es ist nicht mehr einfach ein Drahtesel. Heute haben wir auf dem Markt für jeden Zweck ein Velo. Es gibt fast kein Mobilitätsbedürfnis mehr, das man in der Stadt nicht mit dem Velo befriedigen könnte.
Denken Sie dabei auch an Road Pricing?
Nein, Road Pricing gehört nicht zum Begriff der Demotorisierung, sondern ist eine Lenkungsmassnahme. Bei der Demotorisierung sind wir mit anderen, weniger oder kleineren Motoren unterwegs. Die Elektrifizierung ist de facto eine Demotorisierung, nämlich weg vom schweren und komplexen Verbrennungsmotor hin zum leichten und einfachen Elektromotor.
Die Anschaffung eines vollelektrischen Autos ist sehr kostspielig. Auch fehlen in Einstellhallen oft die nötigen Ladestationen. Ist der Kauf solcher Fahrzeuge heute noch ein Privileg für Eigenheimbesitzer?
Immer weniger. Heute findet man in jedem Modellsegment und in jeder Preiskategorie Elektroautos. Die Gründe für den teils noch höheren Anschaffungspreis liegen oft auch in der besseren Ausstattung. Aber wir dürfen nicht nur den Anschaffungspreis betrachten: Elektroautos sind wartungsärmer, die zurückgelegten Elektrokilometer deutlich günstiger. Je nach Modell ist man nach wenigen Jahren und etwa 30000 Kilometernin einem solchen Fahrzeug mit tieferen Kosten unterwegs. Künftig werden die Batterien immer günstiger, wir sprechen dann von Preisparität, das elektrische Fahrzeug wird in der Anschaffung nicht mehr teurer sein. Auf Bundesebene wird zurzeit ein Ladeinfrastrukturziel angepeilt, was unter anderem das Laden in Überbauungen vereinfachen soll. Es gibt immer weniger Gründe, nicht auf Elektromobilität umzusteigen!
Gibt es weitere alternative, umweltverträglichere Antriebssysteme?
(Lacht) Ja, die Muskelkraft! Wenn wir motorisch unterwegs sind, ist Elektrizität sicherlich die energieeffizienteste und umweltfreundlichste Energie. Wir haben heute beispielsweise mit dem E-Bike ein Mobilitätswerkzeug, das die Muskelkraft mithilfe der Batterie unterstützt. Das ist für mich die ideale urbane Antriebsart.
Wie lange fahren wir in der Schweiz noch mit Verbrennungsmotor?
Sicher nicht länger als zehn Jahre. Gewiss, wir werden noch länger Old- und Newtimer-Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sehen, die kann man nicht einfach von der Strasse verbannen. Aber Neufahrzeuge werden Sie in zehn Jahren nicht mehr ohne Stecker erhalten!
Peter Widmer